In Zeiten von Fake-News wird wissenschaftliche Expertise immer wichtiger. Reinhard Hüttl, Leiter des Geoforschungszentrums Potsdam, und Volker Stollorz, Wissenschaftsjournalist und Leiter des Science Media Center Germany, überlegten in der ZEIT (Oktober 2018), wie mehr Rationalität in öffentliche Debatten zu bringen ist. Einer ihrer Vorschläge, die Gründung einer durch staatliche Mittel finanzierte Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus, wird seitdem intensiv diskutiert. Jüngst übte Heidi Blattmann, frühere Wissenschafts-Ressort-Leiterin der NZZ, Kritik an der Idee.

Franco Zotta, Geschäftsführer der Wissenschafts-Pressekonferenz, nimmt Blattmanns Beitrag zum Anlass, die Stiftungsidee zu verteidigen. „Niemand würde ohne Not dafür plädieren, neue Wege in der Finanzierung des Wissenschaftsjournalismus zu gehen“, schreibt er. „Hierzulande geben wir uns zwar noch allzu oft der Illusion hin, dass der Journalismus gerade allenfalls in unbequemen Fahrwasser treibe“. Aber: Das anzeigenbasierte Geschäftsmodell sei längst kaputt. Was daraus folgt? Ein Debattenbeitrag – lest gern hier:

„The butchers are sharpening the knives“

Dem (Wissenschafts-)Journalismus steht ökonomisch das Wasser bis zum Hals. Dieser existenzbedrohenden Situation begegnet man nur, wenn wir bei der Finanzierung des Journalismus neue Wege gehen. Die Gründung einer Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus wäre zumindest ein Ausweg.

von Franco Zotta

Heidi Blattmann hat sich kürzlich in einem lesenswerten Artikel Gedanken über den Wissenschaftsjournalismus gemacht.  Blattmann, langjährige Leiterin des Wissenschaftsressorts der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), kritisiert darin ein Positionspapier des Siggener Kreises. Darin erläutert der Kreis – eine Gruppe von Wissenschaftskommunikatoren und einigen wenigen Journalisten –   warum sich die wissenschaftskommunikativen Berufe, zu denen in dem Papier explizit auch der Wissenschaftsjournalismus gezählt wird, zu einem strategischen Bündnis zusammenfinden sollten.

Anlass für diesen Appell ist die Diagnose, dass sich der öffentliche Debattenraum vielfältigen Angriffen und Desinformationskampagnen ausgesetzt sehe, derer man sich nur gemeinsam erwehren könne. Deshalb heißt es gleich zu Beginn des Siggen-Papiers programmatisch: „Um die Errungenschaften einer aufgeklärten, demokratischen Gesellschaft zu verteidigen, müssen alle gesellschaftlichen Kräfte an der Aufrechterhaltung eines sachlichen öffentlichen Diskurses mitwirken“, um dann im Folgenden detaillierter zu erläutern, welche bedenklichen gesellschaftlichen Entwicklungen eine solche übergreifende Kooperation nötig machten.

Was fördert Wissenschaftsjournalismus?

Heidi Blattmanns Unbehagen mit dem Positionspapier ist ein doppeltes: Sie teilt die Zeitdiagnose der Siggen-Autoren nicht, die eine solche übergreifende Kooperation notwendig erscheinen ließe. Vor allem aber stößt sie sich daran, dass in dem Papier zwischen Journalismus und PR nicht mehr ausreichend differenziert und in der Folge der Unterschied „zwischen der interessengeleiteten (weil von ihr finanzierten) Kommunikation aus der Wissenschaft und unabhängiger Berichterstattung über Wissenschaft verwischt“ werde. Zwar konzediert auch Blattmann, dass der Journalismus nicht allein von Luft und Liebe lebt, sondern „seine Geldquellen hat, nur andere“, und dass auch der auf Unabhängigkeit bedachte Journalist „die Konsumenten nicht ignorieren kann“. Aber das bedeute eben nicht, dass deshalb kein Unterschied mehr zwischen den Professionen und ihren Intentionen herrsche.

Aus all dem Gesagten zieht Blattmann zudem eine bemerkenswerte Konsequenz: „Die (mit großen Summen dotierte) Wissenschaft, so sehr sie auch guten, unabhängigen Wissenschaftsjournalismus schätzt und ihm immer wieder Anerkennung zollt, darf diesen zudem nicht fördern. Auch nicht vorsichtig, selbst wenn der Qualitätsjournalismus um Ressourcen kämpfen muss. Sonst zerstört sie genau das, was sie so lobt und was sie stärken will. Beinahe jede Förderung, die funktioniert, erzeugt auch eine Abhängigkeit und führt im Journalismus damit zu einer Schwächung der Kontrollfunktion, einer wichtigen Aufgabe der Medien.“

Blattmann reagiert damit beinahe im Vorübergehen auf eine jüngst entfachte Debatte im Nachgang zu einem ZEIT-Artikel, in dem die Gründung einer durch staatliche Mittel finanzierte Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus angeregt wurde,  was mit einem ähnlichen Argument, wie Blattmann es stark macht, bereits kritisiert worden ist.

Journalismus: Das anzeigenbasierte Geschäftsmodell ist kaputt

Nun würde wohl niemand ohne Not dafür plädieren, neue Wege in der Finanzierung des Wissenschaftsjournalismus zu gehen. Hierzulande geben wir uns zwar noch allzu oft der Illusion hin, dass der Journalismus gerade allenfalls in unbequemem Fahrwasser treibe. Doch de facto droht der Qualitätsjournalismus in diesem Fahrwasser zu ertrinken. Das ist nicht bloß unbequem, das ist existenzbedrohend. Ein aktueller Bericht über den Niedergang der Medienlandschaft, in der Heidi Blattmann bis zu ihrer Pensionierung selbst tätig war, demonstriert das im Detail: Das anzeigenbasierte Geschäftsmodell ist kaputt. Die Onlineerlöse kompensieren die Anzeigenverluste bei weitem nicht. (Und wer dennoch glaubt, dass der Journalismus sich im Digitalen gerade produktiv neu erfindet und finanziert, der möge sich im Folgenden eines Besseren belehren lassen: Buzzfeed entlässt gerade 15 Prozent seiner Belegschaft, ähnliches droht der Huffington Post und anderen Pionieren der neuen Medienwelt. Die Folgen: Eine zunehmende Medienkonzentration inklusive des Verlusts publizistischer Vielfalt, hohe Arbeitsplatzverluste bei Journalisten (in der US-Tageszeitungsbranche sind zum Beispiel seit 1990 2/3 aller Arbeitsplätze verloren gegangen, deutlich mehr als in der Stahl-, Kohle- oder Fischindustrie) – und keine Hoffnung darauf, dass ein Licht am Ende dieses dunklen Tunnels den Ausweg weisen könnte. Die Berliner Tageszeitung „taz“, ebenso leid- wie innovationserprobte Überlebenskämpferin am Zeitungsmarkt, mutiert in diesen Tagen nicht von ungefähr zur Hausbesitzerin, um sich aus den Mieterlösen noch die eigene redaktionelle Arbeit querfinanzieren zu können. Wenn aus ehemaligen Hausbesetzern aus reiner Not Immobilienhaie werden, dann weiß man, was die Stunde im Journalismus geschlagen hat: Wer dem dramatischen Niedergang der klassischen Refinanzierungswege des privatwirtschaftlich finanzierten Journalismus begegnen will, muss vieles in Erwägung ziehen, woran gestern noch nicht einmal zu denken war.

Der Hinweis, dass neue Wege neue Risiken für die Unabhängigkeit des Qualitätsjournalismus bergen, ist ebenso richtig wie essentiell. Aber wenn diese Mahnung konstruktiv für die Zukunft und damit mehr sein will als eine verklärte Erinnerung an die guten alten Journalismuszeiten, dann sollten jene, die sie äußern, nicht die Augen verschließen vor dem, was schon in der guten alten Zeit Kollateraleffekte jener Finanzierungsmodelle war, innerhalb derer stolz die eigene makellose Unabhängigkeitsbescheinigung ausgestellt worden ist.

Dazu zählen nicht nur die Kritik an der vielfach untersuchten Abhängigkeit vieler Tageszeitungen von finanzstarken Anzeigenkunden oder am Einfluss der Politik im öffentlich-rechtlichen Mediensegment. Dazu zählt nicht nur der Umstand, dass Heidi Blattmann für die NZZ und damit für eine Zeitung gearbeitet hat, die bis heute Aktionäre nur dann akzeptiert, wenn sie Mitglied in der Schweizer FDP sind http://www.freundedernzz.ch/nzz-aktie.html. Dazu zählen letzten Endes eben auch all die neuen Aktivitäten in der publizistischen Grauzone, die unter dem Stichwort Native Advertising kursieren, bei dem Stiftungen und andere Akteure durch Geld Agendasetting in Qualitätsmedien betreiben können https://www.sueddeutsche.de/medien/journalismus-gutes-geld-1.3652201, oder an deren Ende leitende Redakteure führender Medienhäuser sich auf Kreuzfahrtschiffen wiederfinden, wo sie den illustren Reiseleiter für betuchte Abonnenten geben. Vergessen wir nicht all die Milliardäre, die sich gerade aus nicht immer undurchsichtigen Motivlagen heraus Medienimperien zusammenkaufen, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu formen.

Ohne Scheuklappen und selbstbewusst neue Finanzierungspfade beschreiten

Wenn man nicht dem Zynismus jener frönen will, denen zufolge journalistische Unabhängigkeit eh nie mehr war als ein Synonym für folkloristisch verklärte, empirisch nicht haltbare Selbstbeweihräucherung, dann kommt es künftig darauf an, ohne Scheuklappen und selbstbewusst neue Finanzierungspfade zu beschreiten, die autonomen und glaubwürdigen Journalismus und damit auch Journalismus über Wissenschaft möglich machen können. Denn der Witz einer unabhängigen journalistischen Medienlandschaft ist ja gerade, dass sie dazu verdammt ist, ewig an der Quadratur des Kreises arbeiten zu müssen: Ohne Geld gibt es keinen Qualitätsjournalismus. Mit Geld gibt es ihn. Aber bis zum Beweis des Gegenteils muss er jeden Tag und für alle überprüfbar belegen, dass dieses Geld ihn nicht korrumpiert, dass er trotz diverser Geldströme unabhängig berichtet. Dieses chronische Dilemma setzt journalistische Akteure permanent einer zuweilen zermürbenden Hermeneutik des Verdachts aus. Aber paradoxerweise erarbeitet sich guter Journalismus so auch jenen Glaubwürdigkeitskredit beim Publikum, von dem seine gesellschaftliche Akzeptanz abhängt.

Letzten Endes, gestern wie morgen, tangiert es die journalistische Unabhängigkeit und in der Folge auch seine Fähigkeit zur Kontrolle der Mächtigen nicht im Kern, dass Journalisten sich für ihre Arbeit von Dritten bezahlen lassen. Beides hängt vielmehr maßgeblich davon ab, dass diese Bezahlung innerhalb von transparenten Regel- und Governancesystemen erfolgt. Nicht die Quelle des Geldes ist hier die alles entscheidende Größe, sondern die Fähigkeit des journalistischen Systems, die Geldgeber in eine Struktur einzubinden, die unabhängigen Journalismus institutionell möglich macht und die gegenüber dem Publikum keine Fragen offen lässt.

Mit Blick auf die vorgeschlagene Idee einer Stiftung zur Förderung des Wissenschaftsjournalismus bedeutet das, dass eine solche Stiftung nicht schon deshalb abgelehnt werden sollte, weil das Stiftungskapital womöglich vom Staat und/oder von der Wissenschaft zur Verfügung gestellt wird. Denn auch die Wissenschaft bekommt ihr Geld vom Staat, ohne dass man ihr deshalb bescheinigen muss, sie könne ihre Inhalte nicht in mindestens relativer Unabhängigkeit von dieser Finanzierungsform autonom definieren oder sich kritisch mit dem Gebahren staatlicher Akteure beschäftigen. Und auch die gesamte Kultur- und Filmförderung in Deutschland wäre ohne staatliche Mittel undenkbar, ohne dass wir nun in vergleichbarer Weise eine Debatte über den drohenden Verlust künstlerischer Unabhängigkeit und wachsende Staatsbeweihräucherung hierzulande führen.

Mit aller Kraft: Neue Finanzierungsstrukturen entwickeln

Für den Journalismus sind derartige Debatten und Entwicklungen relatives Neuland. Aber er tut gut daran, die Debatten nicht abzubrechen, bevor er sie überhaupt begonnen hat. Und das schließt womöglich auch die Ausbildung ganz neuer Allianzen mit ein, wie sie den Autoren des Siggener Papiers aus anderen Beweggründen vorschweben. Gerade weil die Wissenschaft als Evidenzgrundlage für kollektive Entscheidungen so entscheidend ist, bedarf auch der Journalismus über Wissenschaft einer institutionellen Basis, die auch künftig ermöglichen muss, die Öffentlichkeit über Wissenschaft zu informieren, ja die Wissenschaft mit den Erwartungen der Gesellschaft zu konfrontieren – in einem konstruktiven und vielstimmigen Dialog, der auf der Basis der besten Argumente geführt wird und nicht zu den obskuren Bedingungen jener Kräfte, die die in Harvard lehrende Historikerin Naomi Oreskes treffend als Merchands of Doubt bloßstellte. Letzteres aber wird passieren, wenn wir nicht jetzt und mit aller Kraft daran arbeiten, neue Finanzierungsstrukturen für journalistische Arbeit zu entwickeln.

Und: Viel Zeit haben wir nicht mehr, um diesen demokratiebedrohnenden Erosionsprozessen im Journalismus etwas entgegen zu setzen. Der Journalist Steve Cavendish formuliert diese Einsicht am Ende eines aktuellen Washington-Post-Artikels, der den dramatischen Niedergang des Lokal- und Regionaljournalismus in den USA beschreibt, in aller Klarheit: „And we need to do it fast, because the butchers are sharpening their knives.“

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