DuMont verkauft all seine Zeitungstitel. Ein Fanal für die darbende Medienbranche? Nicht, wenn man Journalisten fragt.

Von Franco Zotta

Ich bin simpel gestrickt. Wenn mir das Wasser bis zur Nasenspitze reicht, suche ich Hilfe. Hilfe bedeutet, mit Unterstützung dem Ertrinken zu entrinnen. Wenn der Kopf wieder so weit über Wasser ragt, dass ich atmen kann, kann ich auch wieder über mehr nachdenken als nur darüber, wie ich nicht ertrinke. Bis dahin aber gilt: Ertrinken ist die schlechteste Idee.

Journalisten, zumindest manche, sehen das offenbar anders. Ehe wir uns diesem erstaunlichen Phänomen im Detail zuwenden, sei eine kurze, aktualisierte Status-Quo-Analyse vorgeschaltet.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Der Medienbranche steht das Wasser bis zur Nasenspitze, weil das anzeigenbasierte Geschäftsmodell, auf dem die Branche bislang beruhte, unwiederbringlich zerstört ist. Das bedeutet: Medien ertrinken, seit Jahren, weltweit. In Deutschland aber ist die Medienkrise im öffentlichen Diskurs erstaunlicherweise nie richtig angekommen. Noch 2018 konnte man auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche einer denkwürdigen Veranstaltung über Innovationen im Journalismus beiwohnen, wo ein Medienexperte auf der Bühne saß, der die Medienkrise bereits wieder für beendet erklärte (ab Min 15:58).  Und solange die Zeitungsständer an den Bahnhofskiosken überquellen, so eine weitere gern kolportierte These, kann es doch um die Medienbranche hierzulande so schlecht nicht stehen wie anderswo.

Tageszeitungen werden abgestoßen – den Anfang macht DuMont

Die These war schon immer Unsinn, weil in Deutschland bevorzugt eine besonders unsichtbare Form des Mediensterbens praktiziert wurde, nämlich die Zombifizierung. D.h.: Die Medienhäuser entlassen Mitarbeiter, kürzen Budgets von Freien, und bauen Zentralredaktionen, die den gleichen Inhalt in immer mehr Mediengefäße füllen. Der Bahnhofskiosk quillt so weiter über, aber um den Preis, dass immer weniger Journalismus mit immer weniger Mitarbeitern in immer gleicheren Medien produziert wird. In den USA hat dieses Phänomen einen eigenen Namen: Ghost newspapers. Das geht, so lange es geht und das letzte Tröpfchen aus der Zitrone gepresst ist. Manche finden auch jetzt tatsächlich noch ein paar Journalisten, die man entlassen kann. Doch nun ist der Punkt erreicht, wo auch das allein nicht mehr reicht.

Der nächste Schritt: Verlage stoßen ganze Geschäftsfelder ab. Den Anfang macht mit DuMont, die sich von all ihren Tageszeitungen trennen will,  ausgerechnet eine Verlagsgruppe, die in den vergangenen Jahren ein Pionier der beschriebenen Zombifizierungsstrategie gewesen ist. Es zeigt sich jetzt offensichtlich, was eh kein Geheimnis war: Zombifizierung war keine Überlebensstrategie, sondern diente nur der Verlängerung des Sterbens. Wie aussichtslos die Lage in der Verlagsbranche inzwischen ist, zeigt sich daran, dass sich Analysten nach der DuMont-Ankündigung vor allem fragen, wer (so verrückt) ist, dem Kölner Verlagshaus die Zeitungstitel noch abzukaufen.

Kurzum: Ratslosigkeit allenthalben, keine Strategie nirgends. Das konzediert, wir kommen nun zu dem eingangs erwähnten erstaunlichen Phänomen,  auch Markus Brauck in einem aufschlussreichen Kommentar auf SPON unter dem bezeichnenden Titel „Das Jahr 2019 wird bitter“. Warum das Jahr bitter wird? Brauck kann das sehr schlüssig erklären: Weil niemand weiß, wie man mit Qualitätsjournalismus noch genug Geld verdienen soll, um eine Redaktion zu finanzieren. Das wissen nicht nur die alten Tageszeitungsverlage nicht mehr. Das wissen auch die nicht ganz so alten Online-Medienpioniere nicht. Und auch die jungen Medien in dem Feld wie Buzzfeed, Vice & Co wissen es nicht, weshalb auch sie nun damit beginnen, Journalisten zu entlassen. Und: alle Krisenursachen werden sich noch verschärfen.

Nicht verzweifeln, nötige Hilfe besser ablehnen

Ist all das nicht wirklich Anlass genug, am Zustand des Journalismus in Deutschland zu verzweifeln? Weit gefehlt. Brauck schreibt:

„Man muss deshalb am Journalismus nicht zweifeln oder gar verzweifeln. Man darf deshalb vor allem eins nicht aufgeben: die Suche nach neuen Geschäftsideen, nach neuen Möglichkeiten, Redaktionen und ihre Arbeit zu finanzieren. Die Lösung für diese Krise ist es sicherlich nicht, Journalismus künftig von Staats wegen oder durch Stiftungen zu finanzieren, oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in diese Lücke vorstoßen zu lassen.“

Wir halten also fest: Wenn das Wasser bis zur Nasenspitze gestiegen ist, dann nicht verzweifeln. Stattdessen Design-Thinking-Kurse besuchen und hoffen, dass im Anschluss daran das klappt, was schon in der Vergangenheit nicht geklappt hat. Zudem besonders wichtig: Prophylaktisch all jenen, die ihre Hilfe zwar noch gar nicht angeboten haben, aber womöglich tatsächlich Teil einer Lösung sein könnten, schon mal mitteilen, dass man die Hilfe nicht benötigt. Und warum braucht man die Hilfe nicht? Weil der Journalismus eine viel bessere Idee hat als Hilfe anzunehmen:

„Als Nicolaus DuMont im Jahre 1802 in das Zeitungsgeschäft einstieg, war es keineswegs ausgemacht, dass damit eine Erfolgsgeschichte beginnen würde. Die „Kölnische Zeitung“ hatte eine mickrige Auflage, und die allgegenwärtige Zensur bremste die Freiheit der Presse, wo sie nur konnte. Damals wie heute: Ohne Mut und ohne Risiko geht es nicht.“

Das nenne ich eine durchdachte und tragfähige Gesamtstrategie: Hilfe verweigern und zugleich Anekdoten aus der guten alten Zeit verbreiten, die die Gewissheit verströmen: Et hätt noch emmer joot jejange. Kann man so machen. Sollte man aber nicht. Mir ist keine Industrie bekannt, der es ohne externe Strukturanpassungshilfen gelungen ist, ein im Kern zerstörtes Geschäftsmodell allein unter Zuhilfenahme von Mut und Risiko neu zu erfinden. Auch die Kohleindustrie in Deutschland war bis zuletzt voller mutiger Innovateure. Trotzdem hat 2018 der Letzte in der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop das Licht endgültig ausgemacht. DuMont hat nun seine Zeitungskumpel auf die Resterampe geschoben. Er wird nicht der Letzte gewesen sein.

Es wäre deshalb ein Segen für die Debatte, wenn Journalisten die Dramatik ihrer Lage insgesamt auch mal zur Kenntnis nehmen würden, ehe auch dort das letzte Licht ausgedreht wird. Schonungslos, ohne naive Anleihen an religiöse Metaphorik, derzufolge Morgen der Heiland kommen wird, der alles richten wird. Er kommt nicht. Punkt. Und dann sagen wir alle zusammen den einen heilsamen Satz der Selbsterkenntnis: „Uns steht das Wasser bis zur Nasenspitze. Wir brauchen Hilfe.“ Der Rest wird dann immer noch schwer genug.

Döpfner in der Märtyrerpose

Zumal, wenn man sich den verzichtbaren Luxus leistet und jene zu den lautesten Branchensprechern werden lässt, die nach der Maxime agieren, dass es etwas Schlimmeres gäbe als den Tod des Journalismus, nämlich seine Subventionierung. Herr Döpfner kann sich diese Märtyrerpose leisten, er wird nicht am Bettelstab enden, wenn der Springer-Verlag in womöglich nicht zu ferner Zukunft den DuMontschen Weg auch beschreiten muss. Aber die Demokratie, sie kann es sich nicht leisten, ganze Landstriche in Medienwüsten zu verwandeln. Und diese entstehen, wenn die Tageszeitungen sterben, was sie vor unseren Augen tun. Denn am Journalismus hängt letztlich nicht weniger die Funktionsfähigkeit eines demokratischen Gemeinwesens.

Gerade weil das so ist, ist eine Kernfrage des demokratischen Selbstverständnisses, wie viel und welche Art von Journalismus wir uns künftig leisten wollen. Für Döpfner & Co, ist die Antwort klar: Journalismus ist das, was sich marktförmig finanzieren lässt. Und nur so lasse sich letztlich auch die Unabhängigkeit des Berufsstands wahren. Doch schon die Annahme, eine Abhängigkeit vom Marktgeschehen sei der Garant für die Unabhängigkeit des eigenen Tuns, ist alles andere als selbstevident. Und die geradezu manische Fixierung auf den Markt verdeckt die viel grundlegendere Frage, ob die Verbindung von Journalismus und Markt zum Wesenskern des Journalismus gehört. In welchem Journalismuskodex steht das geschrieben? Dass man mit Journalismus sehr viel Geld verdienen konnte in der Vergangenheit, war ein Segen für Medienunternehmer. Wenn dieser Konnex brüchig wird, womöglich irreparabel, muss dann die Idee des Journalismus, wie wir ihn heute kennen, mit den Medienunternehmern untergehen? Einleuchtend ist das Argument nicht, denn es verengt ohne Not den Korridor, in dem man nach Lösungen für die Medienkrise suchen kann. Es ist doch offensichtlich, dass die Krise des Geschäftsmodells keine Krise des Journalismus ist, sondern „nur“ eine Krise der Form ist, wie wir bisher Journalismus in weiten Teilen refinanziert haben. Journalismus gehört nicht Herrn Döpfner, sondern ist ein gesellschaftliches Gut, das größer ist als die Art und Weise, wie er momentan organisiert ist.

Journalismus stirbt gar nicht?

Wenn wir nicht damit beginnen, den Horizont zu weiten, in dem man über die Zukunft des Journalismus nachdenken kann, werden jene die Zukunft des Journalismus definieren, deren Horizont im „Monetization Team“ von Facebook geschult wurde. Dort lernt man dann wie folgt zu denken: Journalismus stirbt gar nicht. Vielmehr erfindet er sich gerade neu, indem er sich auf seine Wurzeln besinnt. Worin sie bestehen? Für den Ex-Monetization-Manager Martínez darin, dass er sich von Werten wie Neutralität, Objektivität und Überparteilichkeit, wie der Journalismus sie heute für sich beansprucht, wieder verabschiedet (weil nicht mehr finanzierbar) und sich stattdessen rückbesinnt an die Phase, wo er als parteilicher, aktivistischer Player dafür gesorgt hat, dass Öffentlichkeiten aufmerksam geworden sind auf Themen und Anliegen (das rechne sich auch heute).

Wenn es so kommt – und es wird so kommen, wenn wir keine davon abweichenden Konzepte entwickeln und stark machen – dann ist der Qualitätsjournalismus nicht nur ökonomisch, sondern auch konzeptionell am Ende. Mag sein, dass sich das, was dann an seine Stelle tritt, sogar besser monetarisieren lässt als die Arbeit der New York Times, des Guardian oder der Süddeutschen Zeitung. Aber ob das der Journalismus ist, den sich die Bürger einer demokratischen Gesellschaft wünschen sollten, steht auf einem anderen Blatt.

Foto: pixabay

Hinweis (8. März 2019) : Den Grammatikfehler zu Beginn des Textes haben wir korrigiert.