Liebe Meta-Leser,

für alle, die wie ich diesem Jahr leider nicht dabei sein konnten: Anbei könnt ihr die Rede nachlesen, die Volker Stollorz, Geschäftsführer des Science Media Centers Germany zur Eröffnung der diesjährigen SciCar in Dortmund hielt.

 

In diesem Sinne, „unite behind the science“! Nicola

 

Herzlich Willkommen bei der nun schon dritten SciCAR – where science meets computer assisted reporting.

Ein wesentliches Ziel der Veranstalter der SciCAR war es von Beginn an, die Rahmenbedingungen für konstruktive Kooperationen zwischen Journalist*innen und Wissenschaftler*innen zu befördern und zugleich strukturell zu ermutigen.

 

Uns treiben Fragen um wie

  • Wie können Wissenschaft und Datenjournalismus trotz klar unterschiedlicher professioneller Rollen gemeinsam den öffentlichen Diskurs bereichern?
  • Welche Rolle könnten und sollten wissenschaftliche Methoden im Datenjournalismus und darüber hinaus spielen?
  • Was können Wissenschaftler*innen vom Datenjournalismus lernen?
  • Wie können wir den Zugang von Datenjournalist*innen zu richtigen und wichtigen Daten erleichtern, auch im Verbund mit den erweiterten Auskunftsrechten von Wissenschaftler*innen?

 

Hinter allen Aktivitäten steht die zentrale Frage: Wie können zwei wichtige wahrheitssuchende Systeme der Gesellschaft gemeinsam für Aufklärung durch Argumente streiten? Und so zum Beispiel das journalistische Methodenspektrum gegen Desinformation erweitern.

 

Das Projekt SciCAR war und bleibt ein ziemlich dickes Brett, das Wort Aufklärung hat in Zeiten des Populismus keinen guten Klang. Eine Entwicklung gibt mir aber in jüngster Zeit Hoffnung:

Im Tagespiegel las ich kürzlich unter dem Titel „Die Rückkehr des Arguments“ einen Kommentar über die „Fridays for Future“-Bewegung. Darin heißt es, ich zitiere:

 

„Greta Thunbergs erfolgreiche Methode ist die unermüdliche Darlegung von Erkenntnissen. Ihre überraschend erfolgreiche Methode ist im Kern die unermüdliche Darlegung von Erkenntnissen und Argumenten zum Klimawandel. Ohne Beleidigungen anderer. Im Vertrauen auf Einsicht.“

 

Argumentieren, im Vertrauen auf Einsicht. Das, so der Kommentator weiter, sei die „schärfste Waffe“ der Jugendlichen der Friday for Future Bewegung. Ich denke es ist kein Zufall, dass sich weltweit neben vielen Jugendlichen Forschende die ersten waren, die sich Greta Thunberg unter dem Label „Scientists for future“ anschlossen.

 

Klar, die „Friday for Future“-Bewegung beruft sich stark auf das Wissen des International Panel Climate Change, den Weltklimarat IPCC. Sie vertraut der Wissenschaft.

Aber die Jugendlichen träten vor allem in den Klimastreik, weil unsere Generation, ihre „Hausaufgaben nicht gemacht“ und nicht auf die Warnungen der Wissenschaft hörten, sagte die 16-jährige Umweltschutzaktivistin Greta Thunberg im Februar in Brüssel vor europäischen Politikerinnen und Politikern. Und verlangte:

„Sammelt Euch einfach hinter der Wissenschaft, das ist unsere Forderung.“

Im März schrieb die 16-jährige dann auf ihrer Facebook-Seite: „Wir geben nur die Worte der Wissenschaft weiter. Unsere einzige Forderung ist, dass ihr endlich darauf hört. Und dann etwas tut.“

Und als sie kürzlich unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit zum UN-Klimagipfel in New York segelte, da trugen sowohl ihre Jacke als auch das Segel die Aufschrift „Unite behind the science“ – „Vereint Euch hinter der Wissenschaft“.

Die protestierenden Jugendlichen stören also nun den Betriebsablauf der zähen Klimaverhandlungen, sie drängen auf Dringlichkeit. Sie wollen das Gegenüber aber – so scheint es zumindest mir – anders als Populisten und Propagandisten a lá Trump und Johnson – nicht überwältigen, sondern schlicht überzeugen.

Vielleicht, so zumindest schließt der Kommentator im Tagesspiegel, sei in dem Aufbegehren der Jugend genau das zu finden, wonach wir alle in Zeiten digitaler Desinformation suchten: „die Resilienz der Zivilgesellschaft.“ Der Aufklärungs-Philosoph David Hume hatte darin bereit im 18. Jahrhundert einen starken Hebel erkannt: „Macht ist immer auf der Seite der Regierten. Dem Regierenden bleibt nichts als die öffentliche Meinung, um seine Macht zu erhalten.“

Im Sinne einer „Allianz für Auflärung“ setzen auch wir Macher der SciCAR auf die Kraft einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Journalismus und Wissenschaft. Der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl vom European Journalism Observatory an der Universität Lugano hat die Kooperation der wahrheitssuchenden Teilsysteme der Gesellschaft als perfekte „Win-win-Situation“ bezeichnet:

  • Journalisten könnten bei ihren Recherchen die nahezu unerschöpflichen, wenn auch nicht immer leicht zugänglichen Ressourcen des Wissenschaftsbetriebs angemessen nutzen.
  • Sie bekämen Information, die verlässlich ist und zugleich Stoff für Stories bietet.
  • Wissenschaftler hätten umgekehrt die Chance, ihr Wissen mit Journalisten und der Öffentlichkeit zu teilen und mehr Reichweite zu erzielen
  • Zudem könnten Forscher*innen als ehrliche Makler agieren, in den journalistischen Medien mit ihrer fachlichen und methodischen Kompetenz der Desinformation und Propaganda entgegenwirken

Eine „Allianz für die Aufklärung“, bei der die Akteure natürlich ihre je eigenen professionellen Rollen und Grenzen respektierten, wäre ein „Bündnis des Gemeinsinns“, schreibt Ruß-Mohl, ich zitiere:

„Forscher und Journalisten würden ihre Ressourcen poolen und sich wechselseitig unterstützen. Beide Seiten würden etwas mehr von ihrer knappen Zeit dem Service public widmen, um gemeinsam ein hohes gesellschaftliches Gut zu verteidigen: unser aller Recht auf wissenschaftliches Wissen und auf wissenschaftlichen Fortschritt, aber auch auf stimmige, journalistisch geprüfte Information und zutreffende Nachrichten.“

Die SciCAR soll ein Ort sein, wo die mühsame, aber fruchtvolle Zusammenarbeit zwischen Datenjournalismus und Datenwissenschaften erprobt wird, um neue Einsichten zu ermöglichen.

Eigentlich hat die Wissenschaft zunächst kein Publikum außerhalb ihrer selbst, wenn sie nach verlässlichem Wissen sucht. Was aber nutzte es der Wissenschaft, wenn sie vor sich hinforscht, der grassierende Populismus der Mächtigen aber am Ende die Demokratie und damit am Ende auch die Freiheit der Wissenschaft zersetzt. Was nutzen alle Prognosen und Warnungen in der Klimakrise, wenn Sie die Herzen der Menschen nicht erobern?

Was wir alle in Zeiten der Verfügbarkeit von Wissen im Digitalen zu schnell vergessen: Im Alltag der meisten Menschen resultiert nur ein winziger Teil des individuellen Wissens aus eigener Primärerfahrung, der Soziologe Niklas Luhmann schrieb dazu einmal: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“

  • Es ist diese eigentümliche Medienabhängigkeit des modernen Menschen, die neben Einsichten eben auch das Risiko von Fehlwahrnehmungen einschließt.
  • Da Mediennutzer den Wahrheitsgehalt von Aussagen der Wissenschaften meist nicht durch eigene Primärerfahrungen überprüfen können, besteht ein Täuschungsrisiko, Luhmann spricht von Wahrheitsillusion.

Hinzu kommt der sogenannte „Easiness-Effekt“. In einem Experiment hatten Forschen um den Münsteraner Psychologen Rainer Bromme Laien einfache Texte zu medizinischen Sachverhalten lesen lassen. Das Ergebnis verblüffte sie selbst:

– Laien vertrauen nach dem Lesen verständlicher Texte stärker auf ihr eigenes Urteilsvermögen

– Es stieg sowohl die Überzeugungskraft in die ihnen zur Verfügung gestellten Informationen, als auch das Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit

– Die Bereitschaft der Leser*innen, sich auf Experten zu verlassen, sank nach dem Lesen von einfachen im Vergleich zu weniger einfachen Informationen

– Es schwächte sich der Wunsch ab, Rat einer sachkundigeren Quelle zu suchen

Die Forschenden schließen aus diesen wichtigen Befunden sehr vorsichtig: Ein Nebeneffekt der Aneignung von Wissen durch vereinfachte Darstellungen (Popularisierung) für Laien könne darin bestehen, dass sie, ich zitiere, „bei Urteilen über die Gültigkeit wissenschaftlicher Aussagen ihre faktische Angewiesenheit auf Expertenurteile übersehen.“

Ein guter Experte ist demnach jemand, dem man vertrauen kann, wenn man nicht weiß, wo´s lang geht. Wie entkommen wir Journalisten also dem Dilemma gefährlicher Vereinfachungen?

Wie verhindern wir, dass Menschen zum Beispiel der Wahrheitsillusion unterliegen, dass es beim Klimawandel für den Einzelnen besser ist, erstmal nicht zu handeln?

Wie könnten wir das Publikum mit Komplexität überraschen? Wie mit Daten und interaktiven journalistischen Formaten neugieriger machen? Einige kommunikative Daumenregeln, wurden im sogenannten „Solutions-Journalismus“ bereits erdacht.

  • Menschen wollen gehört werden, bevor sie zuhören
  • Es gilt, die wahre Motivation von Menschen zu erkunden. Man kann Werte ansprechen anstatt abweichende Meinungen zu attackieren, an moralische Grundhaltungen der Fairness, Freiheit und Fürsorge anknüpfen, wenn wir über Handlungen zum Klimaschutz sprechen
  • Es gilt die etablierten Erzählungen zu destabilisieren, dabei an übersehene Widersprüche anzuknüpfen
  • Es braucht „Wider-Lens Stories“, bei denen etwa die Kamera vom Detail in das Panorama zoomt und so tiefere Einsichten in die Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten ermöglicht. Den Blick auf systemische Fragen richtet.
  • Es gilt, den „Confirmation Bias“ vorsichtiger zu kontern, zum Beispiel indem Journalist*innen das Publikum mit abweichenden Meinungen von Gleichgesinnten überraschen
  • Wenn Klischees Konflikte dominieren, dann erhält Komplexität Neuigkeitswert (z.B. die Frage: Wie sind Sie zu ihrer Überzeugung gekommen?)

Eine „Allianz für Aufklärung“ zwischen Wissenschaft und Journalismus in dem eben beschriebenen Sinne hätte die Chance, vereinfachende populäre Narrative, die in der Gesellschaft zirkulieren, zu verkomplizieren. Denn eine für den Journalismus hochrelevante Erkenntnis der Lernpsychologie lautet: Erst wenn Menschen Konflikte als tatsächlich komplexes Geschehen erleben, werden sie neugierig und lernbereit.

Gerade ein evidenzbasierter Datenjournalismus könnte also im Verbund mit der Wissenschaft vertiefende Erzählformen der Wirklichkeit erproben, interaktive Szenarien entwerfen:  

  • Was wird beim Thema Klimaschutz zu stark vereinfacht?
  • Was glaubt das polarisierte Publikum, was die jeweils andere Seite denkt und erreichen will?
  • Was sind die Fragen, die bisher niemand stellt?
  • Was müssen wir alle über die andere Seite lernen, um sie besser verstehen zu können?

Vor vielen Jahren hat der Karlsruher Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Helmut F. Spinner ausgerechnet den Wissenschaftsjournalisten einmal folgendermaßen beschrieben: „Der findige Wissenschaftsjournalist ist weder Kumpan noch Konkurrent des Wissenschaftlers, sondern dessen funktionelles Komplement, das die Informationslage um Beiträge ergänzt, welche die Wissenschaft nicht erbringen und die Wissensgesellschaft nicht entbehren kann.“

Was meinte der Philosoph in der Tradition von Karl Popper damit?

  • Es brauche mehr Aufklärungs-, Informations- und Kritikfunktion des Journalismus und der journalistischen (informativen) Medien
  • Es brauche auch für die Wissenschaft Gegeninformation von außen als Korrekturmechanismus zum eingebauten „Bestätigungsfehler“ der verfestigten Institutionen
  • Es brauche zudem in der Wissenschaft mehr Vertrauen in die spezifische „okkasionelle“ Rationalität des Journalismus als Agentur der Gelegenheitsvernunft.

Schließen möchte ich diesen kurzen Impuls zur Eröffnung der SciCAR mit einem Zitat des irisch britischen Schriftstellers Edmund Burke, den er zu Zeiten der Aufklärung 1770 in seinem Werk „Thoughts on the cause of the present Discontents“ niederschrieb.

„When bad men combine, the good must associate, else they will fall, one by one, an unpitied sacrifice in a contemptible struggle.”

Die Tagesschau Online machte daraus kürzlich in einem Tweet ein Zitat, dass sich in den Schriften Burkes so gar nicht findet: „Für den Triumpf des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun“.

Ob es sich bei diesem Zitat um Fake News handelt, entscheiden Sie selbst.