Eine kurze Vorbemerkung: Das Newsreel hat Mitte Juli eine Woche pausiert – weil in der Woche vom 09.07. bis 15.07.2018 über keine Wissenschaftspublikation so oft berichtet wurde, dass es unsere Kriterien für das Newsreel erfüllt hätte. Mehr dazu, wann wir einen Fachartikel und die mediale Berichterstattung dazu hier besprechen, finden Sie in der Fußnote unten.

Verursacht CRISPR-Cas9 mehr Schäden in der DNA als bislang gedacht? (Nature Biotechnology)

Die Genschere CRISPR-Cas9 verändert die DNA laut einer neuen Studie deutlich weniger präzise, als nach bisherigem Kenntnisstand zu vermuten gewesen wäre. In allen getesteten Zelltypen sind einem am 16.07.2018 im Fachblatt Nature Biotechnology veröffentlichten Artikel zufolge große DNA-Teile nahe der gezielt modifizierten Stelle versehentlich ebenfalls verändert worden. Teils sind DNA-Fragmente gelöscht worden, teils verkehrt herum oder an der falschen Stelle eingefügt worden. Die ungeplanten DNA-Veränderungen könnten aus Sicht der Studien-Autoren vom britischen Wellcome Sanger Institute eventuell sogar genetisch bedingte Krankheiten hervorrufen. Bisher waren solch große Schäden durch CRISPR-Cas9 nach Meinung der Forscher unter anderem deshalb noch nicht aufgefallen, weil nur ein kleiner Teil der DNA nach der Behandlung mit CRISPR-Cas9 darauf untersucht worden war. Nun haben die Wissenschaftler mittels Langstrecken-PCR (Polymerase-Kettenreaktion) größere Bereiche der DNA untersucht. Die Wissenschaftler mahnen in ihrer Veröffentlichung, bei der Anwendung von CRISPR-Cas9 in Experimenten oder Therapien in Zukunft die Auswirkungen auf das Erbgut besser zu prüfen.

Mindestens sechs deutschsprachige Medien haben über die Veröffentlichung berichtet. Der Tagesspiegel hat dabei je einen unbeteiligten Experten vom Berliner Max-Delbrück-Centrum und von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zitiert, die beide in der Studie einen wertvollen Beitrag für die CRISPR-Cas9-Forschung sehen. Auch die Süddeutsche Zeitung hat mehrere unbeteiligte Experten vom Guy’s & St Thomas’ NHS Foundation Trust, vom Salk Institute in La Jolla und vom Francis Crick Institute zitiert. Diese haben jedoch größtenteils Zweifel an der Bedeutung der Studie geäußert. Zum Beispiel hat der Experte vom Salk Institute darauf hingewiesen, dass andere Techniken zur Gen-Modifikation nicht von den in der Studie gefundenen Problemen betroffen sein sollten, da bei denen nicht die DNA-Stränge zerschnitten werden müssten. Und ein Experte des Francis Crick Institute hat auf ähnliche Studien verwiesen, die jedoch keine so großen DNA-Schäden durch CRISPR-Cas9 feststellen konnten.

Steckbrief

Journal: Nature Biotechnology

Pressemitteilungen: Ja (von der Forschungseinrichtung)

Aufgegriffen von:

  • Tagesspiegel Online (16.07.2018), Tagesspiegel (17.07.2018)
  • Spektrum.de (17.07.2018)
  • Deutsche Welle (18.07.2018)
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.07.2018)
  • Süddeutsche Zeitung (18.07.2018)
  • Die Presse (20.07.2018)

 

Bringt ein schwächerer Golfstrom Europa Wärme oder Kälte? (Nature)

Entgegen bisherigen Annahmen könnte eine schwächere atlantische meridionale Umwälzzirkulation (AMOC) zu einem Anstieg der globalen Oberflächentemperatur führen. Dies schreiben Wissenschaftler der Universität von Washington in Seattle in einem am 18.07.2018 im Fachblatt Nature veröffentlichten Artikel. Bisher war man vom Gegenteil ausgegangen. Der Grund: Die umgangssprachlich oft zusammen als Golfstrom bezeichneten Meeresströmungen der AMOC transportieren warmes Wasser gen Norden nach Europa. So sorgen sie für Temperaturen, die im Vergleich zu ähnlich nördlich gelegenen Regionen der Welt deutlich wärmer sind. Demnach führe eine schwächere AMOC zu mehr Kälte in Europa. Allerdings argumentieren die Wissenschaftler in ihrem Artikel, dass die AMOC nicht nur warmes Wasser nach Norden pumpt, sondern auch Wärme in tiefere Ozeanschichten bringt. So senke sie die Oberflächentemperaturen. Demnach würde ein Abschwächen der AMOC mehr Wärme an der Oberfläche belassen und den Klimawandel beschleunigen. Damit könnten auch die Temperaturen in Europa weiter ansteigen. Diese Argumentation untermauern die Wissenschaftler mit einer Analyse der Stärke der AMOC seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Mit Hilfsdaten, etwa zum Salzgehalt des Wassers, haben sie Hinweise dafür gefunden, dass die AMOC mehrfach schwächer und stärker geworden ist. Die Phasen einer schwächeren AMOC gehen in den Daten mit den Zeiten einer verstärkten globalen Erwärmung einher, die einer stärkeren AMOC mit einer langsameren Erwärmung.

In mindestens sechs deutschsprachigen Medien ist über die Studie berichtet worden. Dabei haben alle Medien bis auf Die Presse unbeteiligte Experten zitiert. Als solche sind Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg, des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zu Wort gekommen. Übereinstimmend ist die Studie von ihnen kritisch gesehen worden. Der Tenor: Sowohl seien die Daten zur Vergangenheit der AMOC nicht verlässlich als auch die Interpretation der Ergebnisse zu spekulativ und einseitig. Außerdem ist der Mechanismus, mit dem die AMOC laut der Studie Wärme in tiefere Ozeanschichten bringt, vom Experten des PIK als unrealistisch kritisiert worden. Alle drei unbeteiligten Experten sind überwiegend direkt aus den vom Science Media Center Germany bereitgestellten Experten-Statements zitiert worden.

Steckbrief

Journal: Nature

Pressemitteilungen: Ja (von der Forschungseinrichtung)

Aufgegriffen von:

  • Die Presse (19.07.2018)
  • Die Welt (19.07.2018)
  • MDR.de (19.07.2018)
  • scinexx.de (19.07.2018)
  • Süddeutsche Zeitung (19.07.2018)
  • Tagesspiegel (19.07.2018)

Protokoll: Hendrik Boldt

 

1Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.