Zum heutigen Welttag indigener Völker, 1994 erstmalig durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember ausgesprochen, berichtet Wissenschaftsjournalistin Yasmin Appelhans für Meta von der diesjährigen „World Conference of Science Journalists“ (WCSJ 2019).  

In Lausanne war die Rolle indigener Völker ein wichtiges Thema, besonders auf der eigens gestaltete Session „An Indigenous Perspective on Science“. Die kanadische Wissenschaftsjournalistin Véronique Morin eröffnete die Runde direkt mit einem Fazit: Lange Zeit seien wissenschaftliche Erkenntnisse indigener Völker von der westlichen Wissenschaft kleingeredet, ignoriert oder sogar ohne Anerkennung gestohlen worden. Indigene Völker sind wie Objekte oder minderwertige Menschen untersucht worden, berichtete Morin. Heute sei die Welt zwar aufgewacht und würde den Missbrauch stellenweise anerkennen. „Wir sind aber noch weit davon entfernt, indigene Völker für ihr Wissen zu respektieren und dieses anzuerkennen“, sagte sie. Es sei für Wissenschaftsjournalisten notwendig, sich dieses bestehenden Ungleichgewichts bewusst zu werden.

Die grönländische Journalistin und Dokumentarfilmerin Inga Hansen berichtete von ihren Bemühungen, die grönländische Kultur jenseits der sonst in den Medien üblichen Jagdszenen zu dokumentieren. Sie versuche stets, auch ein Augenmerk auf Bildung, lange überliefertes Wissen und indigene Wissenschaft in Grönland zu lenken. „Wissenschaft hat aber auch eine dunkle Seite“, sagte sie und erzählte  von Versuchen an grönländischen Frauen: Ihnen seien zwangsweise Medikamente ähnlich dem Hormon Progesteron gespritzt worden. Als Folge seien die Frauen nicht nur in großer Zahl unfruchtbar geworden, sie hätten aber Schlaganfälle erlitten oder an Brustkrebs erkrankt.

Wie Geschichten erzählen? 

Suzy Basile, Anthropologin aus Kanada, berichtete Beispiele für den früheren Umgang westlicher WissenschaftlerInnen mit indigenen Völkern. In den 40er und 50er Jahren seien an Kindern indigener Völker ungefragt Ernährungsstudien durchgeführt worden, die langfristige Gesundheitsschäden hervorgerufen hätten. Gerade erst sei bekannt geworden, dass in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts kleine Teile der Haut von nordamerikanischen Ureinwohnern auf andere Individuen transplantiert wurden und diese auch der Eiseskälte ausgesetzt wurden, um den Verlauf der Transplantation unter diesen Bedingungen zu untersuchen. In dem Zusammenhang stellte sie die kanadische Richtlinie zur Forschung an den Ureinwohnern Nordamerikas vor. Diese sei als Teil der Strategie zur Dekolonialisierung von Forschung in Kanada zu werten. „In Kanada können indigene Völker nun nicht mehr wie Objekte untersucht werden“, bewertet sie die sogenannte „Toolbox“.

Auch Film- und Medienproduktionen mit kanadischen UreinwohnerInnen unterliegen laut Basile jetzt bestimmten Auflagen. Neu eingeführt wurde eine Richtlinie, wonach Geschichten aus indigenen Kreisen nur noch bedingt von Medientreibenden außerhalb der Gemeinschaften erzählt werden sollten. „Sie haben Holz, Gold und Fische von uns genommen, jetzt wollen sie unsere Geschichten. Sie nehmen weiterhin unsere Ressourcen und profitieren von ihnen“, zitierte Basile die kanadische Filmemacherin Darlene Napose.

Nancy Crépua, kanadische Bildungswissenschaftlerin, berichtete von den Schwierigkeiten nordamerikanischer Ureinwohner, in Kanada Teil des eurozentristischen Hochschul- und Wissenschaftssystems zu werden. „Englisch oder Französisch als einzig erlaubte Sprache in Schulen einzuführen war Teil des Programms, indigene Kulturen und Sprachen auszulöschen“, sagt sie. Kinder, die beim Sprechen anderer Sprachen erwischt wurden, seien früher häufig hart bestraft worden. Auch heute noch ist das Schulsystem entsprechend ausgelegt. Das Resultat sei, dass die schulischen Leistungen dieser SchülerInnen im Schnitt weit hinter denjenigen zurückblieben, die Englisch oder Französisch als erste Sprache hätten, häufig brächen die indigenen SchülerInnen frühzeitig die Schule ab. Ein Zugang zu Hochschule und damit auch zu Wissenschaft sei somit häufig nicht möglich.

Als Empfehlung für WissenschaftsjournalistInnen, die über Themen indigener Völker berichten wollen, rieten Hansen, Basile und Crépua, zuzuhören, mehr Hintergründe zu berichten und den Perspektivwechsel zu wagen. Außerdem sei es wichtig, sich im Vorfeld zu erkundigen, ob eine geplante Berichterstattung angemessen ist, die beteiligten ProtagonistInnen müssen über die Berichterstattung informiert werden.

Wissen indigener Völker in den Erhalt von Biodiversität einbeziehen

Auch in anderen Sessions wurde die Rolle indigener Völker in der Wissenschaft thematisiert. Der Schriftsteller und Arzt Uzodinma Iweala prangerte in seiner Keynote Rassismus und Ignoranz gegenüber dem Wissen afrikanischer Völker an. Wissenschaft und Technologie würden oft als westliche Innovationen angesehen. Das sei eine Sichtweise, die die Beiträge des afrikanischen Kontinents zur wissenschaftlichen Entdeckung ignoriere. „Die Völker aus dem Globalen Süden waren schon vor der Kolonialisierung wissenschaftlich geprägt“, sagte Iweala. Deren Erkenntnisse sollten stärker gewürdigt und zum Wohle aller in den wissenschaftlichen Diskurs übernommen werden.

Robert Watson, frührer Chef des Weltklima- und des Weltbiodiversitätsrates (IPCC und IPBES), wies in seiner Rede darauf hin, dass, global gesehen, 25 Prozent der Landfläche und jeweils 35 Prozent der geschützten Ökosystemflächen von indigenen Völkern bewohnt seien. „Hier gibt es mehr Agrobiodiversität und die Natur verschwindet weniger schnell“, sagte er. Tatsächlich beschäftigen sich große Teile des Kapitels 5 des vielbeachteten IPBES-Berichts „Pathways to a sustainable future“ damit, wie sich das Wissen indigener Völker in den Erhalt von Biodiversität einbeziehen lässt.

Sämtliche Speaker waren sich einig, dass alle Seiten von einem Austausch auf Augenhöhe profitieren würden.

Foto: Inga Hansen, Suzy Basile, Nancy Crépua und Véroniqe Morin (von rechts) sprachen bei der Weltkonferenz der WissenschaftsjournalistIinnen über die Rolle indigener Völker in der Wissenschaft. Bild: Yasmin Appelhans / Credit: Yasmin Appelhans.