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20 Jahre PUSH-Initiative und alles zurück auf Anfang: Die Debatte über die Wissenschaftskommunikation dreht sich beständig im Kreis, wieder einmal. Ein Plädoyer dafür, mal anders zu denken.VON MARKUS LEHMKUHL

Im Memorandum „Dialog Wissenschaft und Gesellschaft“, das im Mai 1999 von den Präsidenten der deutschen Wissenschaftsorganisationen unterzeichnet wurde, wird ganz zu Beginn angespielt auf die populäre These von den „zwei Kulturen“, die Charles Percy Snow 1956 in einem Artikel des „New Statesmen“ erstmals vertrat. Snow beklagte darin die seiner Meinung nach vollständige wechselseitige Verständnislosigkeit zwischen der Kultur der literarischen Intellektuellen einschließlich der Geisteswissenschaftler und jener der Naturwissenschaftler und Techniker. Im Memorandum wurde aus dieser sehr streitbaren These so etwas wie eine Gesellschaftsdiagnose. Unkenntnis über Zusammenhänge auf diesem Gebiet seien sehr viel eher entschuldbar als in den klassischen Bildungsbereichen (Musik, Kunst, Literatur), heißt es. Im Gegensatz zu den anderen kulturellen Bereichen mangele es an öffentlich bekannten Leitfiguren, die „die Freude an der Wissenschaft glaubwürdig verkörpern.“  Wissenschaft komme meist anonym daher, es gehe dabei unter, dass sie von Menschen gemacht werde – mit all ihren Stärken und Schwächen.

Ich nehme diese Passage aus dem Memorandum zum Anlass, um mich – den Sozialwissenschaftler –  zunächst als Mensch zu outen, mit Stärken und Schwächen. Zu meinen persönlichen Schwächen zu rechnen ist wahrscheinlich, dass ich weder in den klassischen Bildungsbereichen noch in den Natur- und Technikwissenschaften besonders bewandert bin, insofern also kulturlos bin. Ich kann auf Parties nicht glänzen mit Reden über Thermodynamik oder über Goethes Werther.

Ich habe Freude an meiner Wissenschaft. Seit fast 20 Jahren beschäftige ich mich mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Der Geburtstag der so genannten PUSH-Initiative fällt also mit dem Start meiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema zusammen. Ob ich diese Freude glaubwürdig vertreten kann, weiß ich nicht. Ich fürchte nein. Denn um Freude vertreten zu können, bräuchte es ja jemanden, mit dem ich sie teilen kann. Da sieht es mau aus. Kaum jemand interessiert sich dafür, was ich mache, was manchmal etwas frustrierend ist. Besonders dann, wenn das auch diejenigen einschließt, die mich für meine wissenschaftliche Tätigkeit bezahlen.

Ein Beispiel: Zwischen 2006 und 2008 leitete ich ein durch die Europäische Kommission gefördertes Projekt, dessen Aufgabe darin bestand, die Thematisierung von Wissenschaft im europäischen Radio und Fernsehen zu vermessen. Wir ermittelten unter anderem Faktoren, die für die Erklärung von Ausmaß und Struktur der Wissenschaftsthematisierung auf den nationalen Fernsehmärkten Europas aussagekräftig sind. Das Interesse an unseren Ergebnissen in der Kommissionsverwaltung hielt sich doch sehr in Grenzen. Die verfolgte ein ganz konkretes Ziel: Sie suchte nach Möglichkeiten, wie man speziell europäisch finanzierte Forschung möglichst in die Primetime möglichst sämtlicher Fernsehanbieter in Europa bringt. Wir konnten solche Rezepte (natürlich) nicht geben, obwohl wir eines kannten: Ich wollte der Kommission empfehlen, sie möge das Fernsehsystem in Europa zunächst gleichschalten, alle Kanäle außer einen abschalten und diesen Kanal dann in der Primetime mit Sendungen bestücken, die europäische Spitzenforschung promoten. Dieser Vorschlag war nicht konsensfähig. Meine Kollegen wollten nicht mitmachen. Man dürfe der Kommission auf keinen Fall die Absurdität ihrer Zielstellung so polemisch vor Augen führen, um zukünftige Förderungen nicht zu gefährden, meinten die Kollegen. Damit bin ich beim Thema: Bei den Zielen der Wissenschaftskommunikation.

Sämtliche Initiativen in diesem Feld seit Mitte der 80er Jahre leiteten die Ziele der Wissenschaftskommunikation immer von der Bedeutung vorrangig der Naturwissenschaft her, die diese für moderne Industriegesellschaften hat. Das Memorandum vor 20 Jahren bildete keine Ausnahme. Proklamiert aber nie begründet wurde, dass diese Bedeutung sich öffentlich angemessen widerspiegeln müsse, um die Akzeptanz für die Wissenschaft zu sichern oder um genügend Nachwuchs zu haben. Manchmal wurde das noch öffentlichkeitstheoretisch gewürzt damit, dass ja die Öffentlichkeit wissen müsse, wofür Forschungsmittel Verwendung finden. Öffentlichkeit sollte immer der Wissenschaft und der sie befördernden staatlichen Administration nützen, nicht umgekehrt.  Und es steht leider zu befürchten, dass dies auch bei künftigen Initiativen, die totsicher kommen werden, nicht anders ist.

Was für mich persönlich frustrierend ist: Es liegt auf der Hand, dass Öffentlichkeit von dieser Art der Wissenschaftskommunikation nicht profitiert. Öffentlichkeit wird dadurch keine bessere Öffentlichkeit, sie wird nur um weitere Akteure reicher, die sie aus eigennützigen Motiven benutzen wollen. Und was auch frustrierend ist: Die Akteure sind partout der Auffassung, sie leisteten damit „der Gesellschaft“ einen Dienst.

Nach meinen Eindruck ist das Verständnis des Begriffes „Öffentlichkeit“ ein Kernproblem besonders der PUSH-Initiative. Das Memorandum setzt den Begriff der Öffentlichkeit im Wesentlichen mit dem des Publikums gleich. Diese Auffassung steht nicht im Einklang mit dem, was in den Sozial- und Geisteswissenschaften unter Öffentlichkeit verstanden wird. Öffentlichkeit ist so etwas wie eine staatsrechtlich relevante Sphäre, die zwischen staatlichem Handeln und bürgerschaftlichen Interessen vermittelt und die seit ihrer allmählichen Etablierung im 18. Und 19. Jahrhundert einem dynamischen Wandel unterworfen ist. Folgt man Jürgen Habermas, so war sie vormals eine Sphäre, in der Privatleute über das Notwendige und Richtige so lange diskutierten, bis sich Konsens unter ihnen herausbildete über das, was staatlicherseits zu tun sei. Anklänge dieser Art von Öffentlichkeit sind noch heute zu beobachten, wenn Parlamentarier vom Fraktionszwang befreit um eine vernünftige Entscheidung ringen. Das wesentliche Kennzeichen moderner Öffentlichkeit besteht darin, dass sie sich seit ihrer Etablierung fundamental gewandelt hat. Staatliche Regelungen greifen so tief und so umfänglich in die gesellschaftliche Ordnung ein, dass die Öffentlichkeit schlicht überfordert ist, sich über all diese Regelungen im öffentlichen, also freien und prinzipiell allen zugänglichen Diskurs, eine begründete Meinung zu bilden. Entsprechend wird in modernen Öffentlichkeiten nicht mehr disputiert, also wechselseitig aufeinander bezogen nach der richtigen Lösung eines Entscheidungsproblems gesucht. Stattdessen wird die eigene Haltung nur mehr repräsentiert, und zwar in einer Weise, die ein in der Sache im Wesentlichen unkundiges Publikum beeindrucken kann. Staatliche wie private Akteure nutzen Öffentlichkeit nicht mehr als Raum, in dem um die richtige Lösung gerungen wird. Sie nutzen ihn als Sphäre, um feststehende Positionen möglichst so zu verkaufen, dass sie einem möglichst großen Publikum zustimmungsfähig erscheinen.

Darauf spielten Frank Marcinkowski und Matthias Kohring an, als sie 2014 in einem Vortrag der VW-Stiftung folgendes behaupteten: „Hat man aber erst einmal diese Entscheidung getroffen, öffentlich zu kommunizieren, ist damit – egal, mit welchen Begriffen man dies dann verbrämt – der Zwang zur Eigenwerbung, zur Imagebildung und Imagepflege, zur Selbstvermarktung, zum Zustimmungsmanagement wissenschaftlicher Organisationen in der Welt.“

Als die Präsidenten der deutschen Wissenschaftsorganisationen im Mai 1999 ihre Unterschriften setzten unter das Memorandum „Dialog Wissenschaft und Gesellschaft“, haben sie natürlich keinen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft angezettelt. Sie haben eine Reihe von Projekten gemacht, auf denen Wissenschaftler und eine durchaus nennenswerte Zahl von Bürgern miteinander sprachen, maßgeblich unterstützt durch das BMBF. Sie haben natürlich und glücklicherweise die Kommunikation mit einer Laienöffentlichkeit nicht zu einem Teil des wissenschaftlichen Reputationserwerbs gemacht, weil die durchaus problematische Reputationssteuerung innerhalb der Wissenschaft gänzlich jenseits dessen liegt, was sich mit Kommunikationsoffensiven beeinflussen ließe.

Mit der Unterschrift unter das Memorandum erkannten die Präsidenten lediglich offiziell den staatlichen Anspruch an, dass sich ihre Organisationen an der öffentlichen Rechtfertigung ihres Tuns selbst aktiv beteiligen müssen. Wenn man diesen Vorgang in sozialwissenschaftlichen Kategorien zu deuten versucht, dann wurde mit dieser Unterschrift die öffentliche Rechtfertigung staatlichen Handelns auf einen nachgeordneten „staatsnahen Apparat“, nämlich die Wissenschaftsorganisationen, durch diese symbolisch akzeptiert. Faktisch wirksam wurde sie aber früher, nämlich mit der Umstellung der Governance der Wissenschaft im Sinne des „New Public Management“ in den 90er Jahren (Stichworte: Wettbewerb, Globalhaushalte, Zielvereinbarungen). Wichtigste praktische Folge: Offizielle Anerkennung und damit Aufwertung der nicht-kommerziellen Werbekommunikation durch Wissenschaftsorganisationen und Verbünden dieser Organisationen.

Damit haben die Initiatoren dieser Initiative der Organisations-PR in der Wissenschaft Auftrieb verschafft und deren Rolle aufgewertet. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen, weil angetrieben durch die im New Public Management angelegten Dynamiken, die die eigentlichen Treiber und Gestalter der Wissenschafts-PR sind, wurden Image-PR, Studierendenmarketing und Public Affairs ohnehin zum Standardrepertoire von Wissenschaftsorganisationen.

Diese sozialwissenschaftliche Deutung, die sich aus theoretischen und empirischen Arbeiten zum Beispiel von Frank Marcinkowski, Matthias Kohring, Hans Peter Peters, Peter Weingart und von mir selbst ableiten lässt, hat ein Problem, das vielleicht auch etwas mit Kulturen zu tun hat im Sinne Snows: Sie wird von mutmaßlich niemandem geteilt, der ganz praktisch in diesen Dialog der Wissenschaft mit der Gesellschaft eingespannt ist. Würde ein Dokumentarist des Spiegel Detlef Ganten, Eva-Maria Streier oder die aktuelle Vorsitzende des Lenkungsausschusses von Wissenschaft im Dialog, Antje Boetius, um die Verifizierung dieser Deutung bitten, er würde wahrscheinlich scheitern.

Und dass liegt nach meinem Eindruck nicht vorrangig daran, dass sie als unwahr oder einseitig zurückgewiesen wird, was statthaft und möglich wäre. Es liegt eben auch daran, dass diese Deutungen und ihre Herleitungen bei denen, die für die Problemorientierung und Zielstellung der Wissenschaftskommunikation zuständig zeichnen, weithin unbekannt sind. Zum Teil auch daran, dass die Akzeptanz dieser Deutung in der Interpretationsgemeinschaft überzeugter Wissenschaftler und praktischen Wissenschaftskommunikatoren schon deshalb nicht zustimmungsfähig ist, weil sie vordergründig nicht in Einklang zu bringen ist mit festgefügten Überzeugungen, die das eigene Tun begründen und motivieren. Genau deshalb stehen diese Überzeugungen unter dringendem Ideologieverdacht. Und es liegt sicherlich auch daran, dass eine solche Deutung in naturwissenschaftlich geprägten Kulturen über den Status einer Meinung, einer opponierenden Überzeugung nur schwer hinauskommt, weil sie sich nicht auf einfache Weise faktisieren lässt. Motto: Hey, seht her, es gibt statistisch betrachtet 6000 Stickoxid-Tote jedes Jahr (Faktisierung), Stickoxide sind gesundheitsschädlich (Deutung), lasst uns Fahrverbote einführen (Folgerung).

Weil das so ist, dreht sich die Beschäftigung mit der Wissenschaftskommunikation seit Jahrzehnten im Kreis. Wahrscheinlich ist die Botschaft zu radikal und berührt Interessen, weil sich ja schon eine Interessenssphäre ausgebildet hat in diesem Feld. Aber zu wirklich neuen Ideen kommt man nach meiner Einschätzung nur, wenn man bereit ist, sich mit einer Frage ernsthaft zu befassen: Wie kann die Wissenschaft der Öffentlichkeit dienen, obwohl sie selbst außerwissenschaftliche Öffentlichkeit nicht braucht? Und – wohl entscheidend – man muss Organisationsfragen beantworten. Denn ein solcher Dienst an der Öffentlichkeit kann überhaupt nur funktionieren, wenn er fern gehalten wird von sämtlichen Wissenschafts- und Ministerialbürokratien dieser Republik.

Ein Dienst an der Öffentlichkeit wäre es zum Beispiel, würde man Verfahren etablieren, die in der Lage sind, Meinungen vieler kompetenter Wissenschaftler zu ausgewählten, gesellschaftlich relevanten Fragen zu bündeln. Denn der öffentliche Dienst der Klimaforschung zum Beispiel erhält seinen besonderen Wert nicht dadurch, dass prominente Einzelstimmen wie etwa die von Stefan Rahmstorf oder Mojib Latif Gehör finden, er wird vor allem dadurch wertvoll, dass sich diese Einzelstimmen rückbinden lassen an die Haltung tausender anderer Wissenschaftler, so dass klar wird, dass diese Wissenschaftler nicht lediglich ihre persönliche Sicht der Dinge präsentieren. Es ließen sich weitere Betätigungsfelder nennen.

20 Jahre nach PUSH ist in der Wissenschaftskommunikation einiges in Bewegung. Im Forschungsministerium ringt man um so etwas wie eine Strategie, der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Ernst Dieter Rossmann, lässt Versuchsballons steigen, in denen unter anderem von einer Akademie für Wissenschaftskommunikation die Rede ist. Wie gesagt: Die nächste Initiative kommt bestimmt. Optimistisch stimmt, wenn, wie Rossmann vorschwebt, für den Zuschnitt einer solchen Initiative Expertise aus der Wissenschaft eingeholt werden soll. Fragt sich halt nur, aus welcher der vielen Wissenschaftskulturen die kommt.

Markus Lehmkuhl ist Professor für Wissenschaftskommunikation in digitalen Medien am Karlsruher Institut für Technologie.