Ein Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten:

Indirekte Ökosystem-Effekte von Windrädern: Das Fehlen von Raubvögeln wirkt sich auf ihre vormalige Beute aus (Nature Ecology and Evolution)

Zweijährige Untersuchungen in den indischen Westghats haben ergeben: Sowohl Raubvögel als auch deren Jagdaktivitäten sind in drei 0,5 Quadratkilometer großen Gebieten ohne Windräder etwa vier Mal so häufig gewesen wie in drei gleich großen Gebieten mit Windrädern. In den Windrad-Gebieten ist dank fehlender Raubvögel die Dichte an Eidechsen ungefähr drei Mal stärker gewesen. Und die Eidechsen sind dort – vermutlich aufgrund der größeren Konkurrenz um Nahrung – magerer gewesen. Zudem zeigten sie geringere Stresslevel und flohen erst deutlich später vor potenziellen Angreifern. Da die untersuchten Gebiete sich sehr ähnlich waren, führen die Wissenschaftler*innen des Indian Institute of Science im indischen Bengalore all diese Veränderungen auf die Windkraftanlagen zurück. Diese würden zwar nicht das Habitat direkt verändern, aber die Zahl der Raubvögel verringern. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler*innen am 05.11.2018 im Fachblatt Nature Ecology and Evolution veröffentlicht. Sie fordern nun, indirekte Effekte besser zu erforschen und zukünftig in die Wahl von Standorten für Anlagen einzubeziehen.

Mindestens sieben Mal ist von deutschsprachigen Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Das Science Media Center Germany (SMC) hat zur Studie zwei Expert*innen der Swedish University of Agricultural Sciences SLU in Umea und des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung interviewt. Bis auf den Stern haben alle Medien aus diesen Interviews zitiert. Beide Expert*innen haben darin die Studienergebnisse als plausibel eingeschätzt und die Studienmethode grundsätzlich für korrekt befunden. Allerdings ist darauf hingewiesen worden, dass zu wenige Informationen bezüglich der Vergleichbarkeit der beobachteten Gebiete angegeben worden seien.

Steckbrief

Journal: Nature Ecology and Evolution

Pressemitteilungen: Nein

Aufgegriffen von:

  • Redaktionsnetzwerk Deutschland (05.11.2018): Hannoversche Allgemeine (05.11.2018), Göttinger Tagblatt (06.11.2018), Neue Presse (06.11.2018), Wolfsburger Allgemeine (06.11.2018)
  • scinexx.de (06.11.2018)
  • Standard (06.11.2018)
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung (10.11.2018)
  • Frankfurter Rundschau (10.11.2018)
  • Stern (10.11.2018)
  • WELT (12.11.2018)

 

Mehr Menschen sterben in Europa an Antibiotika-resistenten Keimen (The Lancet Infectious Diseases)

33 110 Tote durch Antibiotika-resistente Keime allein im Jahr 2015 – und eine Krankheitslast, die ähnlich hoch ist wie die von Grippe, Tuberkulose und HIV zusammen. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die die Auswirkungen von Antibiotika-Resistenzen auf die Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) untersucht hat. Dabei ist erstmals deren Krankheitslast gemessen in DALYs (disability adjusted life years) berechnet worden. In die DALYs fließen sowohl verlorene Lebensjahre als auch Zeiten mit durch Krankheit verminderter Lebensqualität ein. In verschiedenen Ländern ist die Krankheitslast der Studie zufolge sehr unterschiedlich gewesen. In Italien ist sie etwa fünfmal so hoch wie in Deutschland gewesen. Außerdem sind insgesamt besonders Neugeborene und ältere Menschen betroffen gewesen.  Auch für 2007 haben die Wissenschaftler*innen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten in Schweden Berechnungen angestellt. Seit 2007 hat sich, wenn bezüglich des Alters standardisiert wird, die Anzahl der Infektionen und Todesfälle ungefähr verdreifacht. Im Vergleich zu anderen Studien beruhen die Ergebnisse nach Angabe der Wissenschaftler*innen auf besonders vorsichtigen Annahmen bezüglich der Anrechnung von Todesfällen. Da die Mehrzahl der Infektionen im Gesundheitssystem selbst – beispielsweise in Krankenhäusern – passiere und hiervon etwa die Hälfte verhinderbar sei, ließen sich laut den Wissenschaftler*innen durch bessere Prävention im Gesundheitswesen viele Fälle vermeiden. Die Studie ist am 05.11.2018 im Fachblatt The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht worden.

Von mindestens sechs deutschsprachigen Medien ist unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Die Süddeutsche Zeitung und der Tagesspiegel haben eine an der Studie unbeteiligte Expertin der Berliner Charité zu den Ergebnissen befragt. Laut der Expertin müsste stärker versucht werden, den Einsatz der Antibiotika auf notwendige Fälle zu beschränken, sodass sich die Resistenzen gar nicht erst entwickelten. Bei Zeit Online ist als Expertin die Forschungsdirektorin der Stiftung Access to Medicines zur Studie zitiert worden. Sie hat in mangelnden Anreizen für Pharmafirmen, neue Antibiotika zu erforschen, einen weiteren Grund für die zunehmenden Resistenzen gesehen.

Steckbrief

Journal: The Lancet Infectious Diseases 

Pressemitteilungen: Ja (vom Forschungsinstitut [https://www.eurekalert.org/pub_releases/2018-11/ecfd-3pd110618.php])

Aufgegriffen von:

  • dpa: Neue Zürcher Zeitung (06.11.2018), Bonner General-Anzeiger (07.11.2018), Nürnberger Nachrichten (07.11.2018), Stuttgarter Zeitung (07.11.2018)
  • Spiegel Online (06.11.2018)
  • Süddeutsche Zeitung Online (06.11.2018)
  • Zeit Online (06.11.2018)
  • scinexx.de (07.11.2018)
  • Tagesspiegel (07.11.2018)

 

Globale Gesundheit verbessert sich deutlich langsamer und vielerorts fehlt ärztliches Personal (The Lancet)

Der Fortschritt bei der Lebenserwartung wird weltweit langsamer und in einigen wohlhabenden Ländern ist sie sogar leicht rückläufig. Dies ist eines von vielen Resultaten der Global Burden of Disease Studie, die alle zwei Jahre die Entwicklung der weltweiten Gesundheit beziffert.  Die aktuelle Studie ist von einem internationalen Team von Wissenschaftler*innen erarbeitet und am 08.11.2018 im Fachblatt The Lancet veröffentlicht worden. Die Hälfte aller weltweiten Todesfälle sind laut den Autor*innen auf nur vier Risikofaktoren zurückzuführen: Bluthochdruck, Rauchen, hohe Blutzuckerwerte und Übergewicht. Gestiegen sind zudem insbesondere die Todeszahlen durch Konflikte und Terrorismus, Opioid-Abhängigkeit und Dengue-Fieber. Nicht nur Todeszahlen, sondern auch die Jahre mit durch Krankheiten eingeschränkter Lebensqualität sind gemessen worden. Hier sind Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Depressionen am stärksten ins Gewicht gefallen. Auch Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind in der Studie beleuchtet worden. Diese haben aus Sicht der Wissenschaftler*innen vor allem soziale Gründe. So litten Frauen stärker unter Gewalteinwirkungen durch andere und sich selbst, Männer dagegen mehr unter Verkehrsunfällen und Drogenmissbrauch. Erstmals sind zudem Daten zum Gesundheitspersonal verglichen worden. Nur jedes zweite Land hat den Wissenschaftler*innen zufolge mindestens einen Arzt oder eine Ärztin pro 1000 Einwohner*innen. Damit seien viele Länder weit entfernt von den Mindeststandards der Weltgesundheitsorganisation.

Mindestens fünf Mal ist in deutschsprachigen Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Dabei sind keinerlei unbeteiligte Expert*innen zitiert worden. Meist ist betont worden, dass die wichtigsten Todesursachen heutzutage nicht-übertragbare Zivilisationskrankheiten seien, die mit der ungesunden Lebensweise in wohlhabenden Ländern zusammenhängen würden. Zudem ist oft hervorgehoben worden, dass Deutschland und Österreich zu den Ländern mit dem meisten Gesundheitspersonal pro Bevölkerung zählen würden.

Steckbrief

Journal: The Lancet

Pressemitteilungen: Ja (von der Fachzeitschrift [https://www.eurekalert.org/pub_releases/2018-11/tl-tll110718.php])

Aufgegriffen von:

  • aerzteblatt.de (09.11.2018)
  • APA: Der Standard (09.11.2018)
  • dpa: Frankfurter Rundschau (09.11.2018), Nürnberger Nachrichten (09.11.2018), Spiegel Online (09.11.2018), WELT (09.11.2018)
  • science.ORF.at (09.11.2018)
  • Süddeutsche Zeitung Online (09.11.2018)

*Protokoll: Hendrik Boldt

 

* Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.