Ein Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten:

 Wie schnell und weshalb sterben weltweit die Insekten? Science Media Newsreel No. 38 (11.02. bis 17.02.2019)

Eine kurze Vorbemerkung: Das Newsreel hat zuletzt eine Woche pausiert, da vom 04.02.2019 bis 10.02.2019 über keine Wissenschaftspublikation so oft berichtet wurde, dass es unsere Kriterien für das Newsreel erfüllt hätte. Mehr dazu, wann wir einen Fachartikel und die entsprechende mediale Berichterstattung hier besprechen, finden Sie in der Fußnote unten.

Weltweites Insektensterben mit bedrohlichen Ausmaßen – Hauptursache ist die industrialisierte Landwirtschaft (Biological Conservation)

Jedes Jahr nimmt die weltweite Biomasse an Insekten um 2,5 Prozent ab, sodass sie bei gleich bleibender Entwicklung in hundert Jahren weniger als zehn Prozent der heutigen ergeben würde. Auch die Artenvielfalt ist seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts und besonders seit der Grünen Revolution der Landwirtschaft in den 50er Jahren gesunken. Momentan sind ungefähr dreißig Prozent aller Insektenarten vom Aussterben bedroht. Darunter befinden sich auch zahlreiche Generalisten – also eigentlich anpassungsfähige Arten. Dies schreiben zwei Wissenschaftler der Universität Sydney und der Universität von Queensland in einer Meta-Studie, die im April im Fachblatt Biological Conservation erscheinen wird und online vorveröffentlicht worden ist. Darin haben sie 73 Studien, die allesamt über längere Zeiträume die Entwicklung von Insektenpopulationen untersucht hatten, analysiert. Da die meisten Studien Insekten in Europa oder Nordamerika untersucht hatten, sind viele Ergebnisse der Metastudie laut den Autoren für andere Regionen weniger aussagekräftig. So sei in tropischen Zonen der Klimawandel Hauptursache für das Insektensterben. Dagegen wäre in gemäßigten Zonen besonders die durch Urbanisierung und industrialisierte, monokulturelle Landwirtschaft veränderte Landschaft verantwortlich. Zudem spielten dort Pestizide und Umweltverschmutzung eine große Rolle. Außerdem seien invasive Arten, Parasiten und Krankheiten, die den Insekten zusetzen, insgesamt gewichtiger als der Klimawandel. Um das Insektensterben zu beenden, fordern die Wissenschaftler insbesondere eine umweltverträglichere Landwirtschaft mit mehr Lebensräumen für Insekten und weniger Pestiziden.

Mindestens fünfzehn Mal ist in deutschsprachigen Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Viele Artikel haben ausführlich das Problem und mögliche Lösungsansätze beschrieben. Mehrfach sind unbeteiligte Expert*innen zitiert worden, von denen alle die Studie unterstützt haben. Die taz hat einen Experten der Freien Universität Berlin zitiert, der mehr Grünflächen forderte. Bei science.ORF.at ist die Ansicht einer Expertin des University College London zur Studie wiedergegeben worden. Demnach unterschätze die Studie eventuell sogar das Insektensterben, da sie wenige Studien zu tropischen Gegenden beinhalte, dort das Problem aber noch größer sei. Spiegel Online hat einen Experten der Universität Hohenheim zur Studie befragt. Laut ihm sollte nicht auf weitere Untersuchungen gewartet, sondern schnell politisch gegengesteuert werden. Und schließlich hat der Standard (18.02.2019) zwei Experten der Universität Wien und des Naturhistorischen Museums Wien anlässlich der Studie allgemein zur Bedeutung und Gefährdung der Insekten befragt.

Steckbrief

Journal: Biological Conservation

Pressemitteilungen: Nein

Aufgegriffen von:

  • APA: DiePresse (11.02.2019), Wiener Zeitung (11.02.2019)
  • Focus Online (11.02.2019)
  • Neue Zürcher Zeitung Online (11.02.2019)
  • ORF.at (11.02.2019)
  • Stuttgarter Zeitung (11.02.2019)
  • Süddeutsche Zeitung Online (11.02.2019)
  • de (11.02.2019)
  • Zeit Online (11.02.2019)
  • Standard Online (12.02.2019)
  • t-online.de (12.02.2019)
  • Spiegel Online (13.02.2019)
  • Tages-Anzeiger (13.02.2019)
  • Frankfurter Rundschau (14.02.2019)
  • Tagesspiegel (14.02.2019)
  • Standard Online (18.02.2019)

 

 

*Protokoll: Hendrik Boldt

 

1Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.