Tiefgründig, innovativ, ambitioniert… . Das Online-Magazin STAT tritt an, um speziell der Biomedizin Öffentlichkeit zu verschaffen. Ein Interview mit dem Chef, Rick Berke. VON KAI KUPFERSCHMIDT

STAT

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Herr Berke, Sie sind der Chefredakteur von STAT, einer neuen Webseite, die über Entwicklungen in den Lebenswissenschaften berichtet. Gibt es nicht schon genug Berichterstattung gerade über diese Themen? Medizin ist eines der Felder, über das Wissenschaftsjournalisten am häufigsten schreiben.

Unserem Besitzer John Henry, dem der Boston Globe gehört, ist aufgefallen, dass Boston in mancher Hinsicht wirklich das Zentrum der Lebenswissenschaften und der Biotechnologie ist. Er fand, dass darüber nicht ausreichend berichtet wird und ich stimme ihm zu. Es gibt zwar hunderte Spezialveröffentlichungen zu Medizin und Biowissenschaften, aber es gibt auch viele große Geschichten, hier und auf der ganzen Welt, die nicht berichtet werden. Auf unserer Webseite werden Sie einige große Stücke finden, die vorher nicht geschrieben worden wären. Bevor ich diesen Job angenommen habe, bin ich für ein Briefing zur Kendall Square Association gegangen, die die Biotech-Industrie hier unterstützt, und ich habe Dutzende Geschichten notiert, die mir neu waren.

Rick Berke leitet die Redaktion von STAT. Quelle: Statnews.com

Rick Berke leitet die Redaktion von STAT. Quelle: Statnews.com

Sie haben John Henry erwähnt. Warum hat er nicht einfach die Wissenschaftsredaktion des Boston Globe vergrößert?

Er hat ein Stück geschrieben, in dem er seine Sicht erklärt. Aber um das zusammenzufassen: Eine neue, komplett digitale Nachrichteneinheit hat eine Wendigkeit, die Sie nicht bekommen, wenn Sie auf ein existierendes Medium ausbauen. Wir haben unsere eigene Website, unser eigenes Content Management System, unsere eigene Art, Geschichten zu schreiben. Wir sind nicht an die Tradition gebunden, wie der Globe es macht oder wie Zeitungen es machen, die seit Jahrzehnten existieren.

Es ist Ihnen vorgeworfen worden, dass STAT den Globe kannibalisiert und es eigentlich darum geht, die Gewerkschaft zu entmachten.

Der Artikel, auf den Sie sich da beziehen enthielt eine Reihe von Fehlern. Die Geschichte war offensichtlich von den Gewerkschaftsleuten beim Globe lanciert. Ich möchte nicht für den Globe oder John Henry sprechen, aber ich würde sagen: falls er vorhätte, den Globe zu kannibalisieren, warum hat er den dann überhaupt gekauft? Er ist ein Geschäftsmann. Er hat eine Leidenschaft für Journalismus und eine Leidenschaft für den Boston Globe. Er würde sagen: Er möchte dass der Globe profitabel ist. Und er möchte ihn für die digitale Zukunft fit machen. STAT ist eine völlig getrennte Einheit und unsere Gewinne oder Verluste haben nichts mit dem Globe zu tun.

Sie haben ein paar hervorragende Wissenschaftsautoren in ihrem Team: Carl Zimmer, Ivan Oransky von Retraction Watch, Helen Branswell. Ed Silvermann ist mit seinem Blog zu ihrer Seite umgezogen. Sie haben also eine ganze Menge Geld ausgegeben. Wie werden Sie das alles bezahlen?

Wir schauen uns verschiedene Formen von Werbung an, Native Advertising zum Beispiel und auch Sponsorenverträge. Es wird also wahrscheinlich gesponserte Inhalte geben und Partnerschaften. Unser Schwerpunkt ist jetzt erst einmal eine Leserschaft aufzubauen.

Sie bauen eine neue Marke auf. Journalisten wie Carl Zimmer sind selbst schon Marken. Wie wichtig ist es, einige dieser Leute zu bekommen?

Ich denke, das ist entscheidend. Wir haben einige hundert Geschichten veröffentlicht und niemand hat unsere Glaubwürdigkeit hinterfragt oder irgendetwas, das wir über einige sehr komplizierte Themen geschrieben haben. Das ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass wir Leute haben, die wissen, worüber sie sprechen, Leute wie Carl Zimmer und Helen Branswell und Sharon Begley. Unser Washington-Korrespondent David Nader hat Bücher über Obamacare und das Gesundheitssystem geschrieben und kennt sich in der Politik aus. Wir haben außerdem viele jüngere Reporter, die viel weniger bekannt und erfahren sind, aber die die verschiedenen Gebiete verstehen und die schlauesten jungen Journalisten sind, die ich irgendwo finden konnte. Es ist wichtig, Mitarbeiter zu haben, die wissen was sie tun, aber es ist auch wichtig, Menschen mit verschiedenen Erfahrungsleveln und Sichtweisen zusammenzubringen.

Sie selbst kommen nicht aus dem Wissenschaftsjournalismus. Was ist Ihre Sicht als Außenseiter? Was kann STAT machen, das der Wissenschaftsjournalismus bisher nicht gemacht hat.

Ich glaube, mein Mangel an Expertise in dem Fachgebiet bringt mir einen gewissen Vorteil. Ich habe nicht das Handicap, dass ich zuviel weiß. Was ich mitbringe, ist eine frische Sicht auf unser Themengebiet. Was aus meiner Sicht fehlt: zugänglicher Journalismus, der zu einem breiteren Publikum durchbricht. Die New York Times oder der New Yorker machen natürlich tolle Arbeit, aber sie schreiben nicht konstant jeden Tag über diese Themen.

Wissenschaftsjournalisten sind häufig die ersten gewesen, die ihren Job verloren haben, wenn es einer Zeitung schlechtging. Haben wir es nicht geschafft, den Lesern zu zeigen, warum Wissenschaftsjournalismus wichtig ist?

Für viele große Nachrichtenunternehmen ist das nicht das Thema Nummer Eins auf ihrer Liste. Für STAT ist es das und ich würde sagen, diese Themen sind wichtiger denn je. Diese Themen gehen jeden Menschen etwas an. Das Interesse an Medizin und Gesundheit ist enorm. Der Wissenschaftsjournalismus wurde in den vergangenen Jahren häufig zurückgefahren, weil er als Zusatz gesehen wurde, der nicht zwingend war. Aber ich denke, diese Geschichten werden immer wichtiger. Unser Ziel ist es nicht, die alten Wissenschaftsteile wiederzuerschaffen. Unser Ziel ist es, diese Geschichten lebendig zu machen und provokant. Und sie digital zugänglich zu machen.

Entschuldigung, aber haben das die alten Wissenschaftsteile nicht auch probiert. Das ist doch einfach Journalismus.

Die haben das gemacht und sie haben es großartig gemacht. Aber es war eine andere Zeit. Schauen Sie sich unsere Seite heute an und sie finden eine interaktive Grafik, wie CRISPR die Welt erobert. Das konnte man damals nicht. Wir investieren in Experten, die Dinge tun, die vor fünf oder zehn Jahren nicht möglich waren. Die Welt hat sich verändert und die Welt des Journalismus hat sich verändert. Wir versuchen, das Beste daraus zu machen.

Die meisten Print-Medien machen sich Gedanken, wie Sie als Online-Medium überleben werden. Aber ich habe gelesen, dass Sie überlegen, umgekehrt eine Printausgabe einzuführen.

Das ist keine Priorität, aber wir haben die Idee diskutiert. Ich könnte mir vorstellen, dass wir einmal ein Hochglanzheft versuchen. Etwas, dass auf Kaffeetischen eine ganze Weile liegt und Menschen eine weitere Möglichkeit gibt, sich das anzugucken. Ich stelle mir keine tägliche Zeitung oder so etwas vor. Ich glaube, das hat auch einen Reiz für manche Werber. Aber alles, was wir zurzeit tun, ist ein Experiment und ich denke, das wird noch eine Weile so sein. Das ist die Herausforderung an dem, was wir machen und der Grund, warum es Spaß macht.

Was würde Sie in ein paar Jahren auf STAT zurückblicken lassen mit dem Gefühl: Das war ein Erfolg?

Wir wollen natürlich selbsterhaltend sein, aber das ist noch weit weg und wir haben dafür viel Zeit. Ich möchte, dass wir als glaubwürdige Quelle gesehen werden, als Website für Menschen, die sich für Gesundheit, Medizin und Biowissenschaften interessieren. Dass wir Geschichten anbieten, die sie anderswo nicht bekommen. Ich möchte, dass wir für spannenden Journalismus und gutes multimediales Storytelling bekannt sind.


Kai KupferschmidtKai Kupferschmidt hat Molekulare Biomedizin studiert und arbeitet als Wissenschaftsjournalist unter anderen für die Süddeutsche Zeitung.