Sollte der WDR bei nano aussteigen, stünde es schlecht um die Sendung. Dass dies erwogen wird, wirft ein Schlaglicht auf die Probleme, denen sich die aktuelle Berichterstattung gegenübersieht. Nicht nur im Fernsehen. Eine Einordnung. VON MARKUS LEHMKUHL

Photo: CC O: Keith Misner/https://unsplash.com/

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So etwas gibt es in ganz Europa nicht: Ein täglich erscheinendes Wissenschaftsmagazin im Fernsehen, das seit über 15 Jahren mindestens zu erklecklichen Anteilen aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse aufgreift. Nano ist unique! Wenn sich das, was aus dem WDR zu hören ist, bewahrheitet, muss man den Satz vielleicht bald ins Präteritum setzen. Nano war unique! Es ist zwar verfrüht, das Totenglöckchen zu läuten. Dass der WDR seine bislang tragende Rolle bei dieser von mehreren öffentlich-rechtlichen Sendern gemeinsam verantworteten Sendung überdenkt, lässt aber tief blicken. Es ist die Konsequenz davon, dass es den Machern dieser Sendung in all den Jahren nicht gelungen ist, sich zu einem wichtigen Baustein von dem zu machen, was die Öffentlich-Rechtlichen als eine ihrer Kernkompetenzen betrachten: Aktuelle Berichterstattung über gesellschaftlich relevantes Geschehen, sei es in den Flagschiffen Tagesschau und Tagesthemen, sei es in den diversen Polit-Magazinen, sei es in den insbesondere im WDR stark vertretenen Regionalformaten. Was damit gemeint ist, lässt sich am besten verdeutlichen, wenn man sich vor Augen hält, was nano ist und was diese Sendung sein könnte.

Das Fernsehen in Europa kennzeichnet, dass sich dort nur sehr wenige spezialisierte Sendungen finden lassen, die sich mit aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen befassen, also – wenn auch nicht täglich wie nano – mindestens zu einem Teil Neuigkeiten aus der Wissenschaft aufgreifen und zu kurzen Berichten verarbeiten. Das Gros der Wissenschaftssendungen macht in Edutainment, in Dokumentation oder in Gesundheitheitstipps. Spezialisierte Berichterstattung über jüngste Entwicklungen in der Wissenschaft ist eine Spezialisierungsschwelle, die das Fernsehen nur ausnahmsweise überspringen kann.¹

Europäischen Sendern fehlt es an Spezialisierung auf aktuelle Wissenschaft

Die Ausnahme ist nano. Grund: Deutschland verfügt über ein segmentiertes öffentlich-rechtliches Fernsehkanalangebot, das auch kleine, werbefreie Spartensender beinhaltet, die mit Marktanteilen von ein, zwei Prozent leben können (oder müssen). Und: Die Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Systems in Deutschland ist äußerst üppig. Mit etwa acht Milliarden Euro Gebühren verfügt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland über annähernd doppelt so viel Geld wie Großbritannien, die Nummer zwei in Europa beim Gebührenaufkommen.²

Ein neues wissenschaftliches Resultat hat daher ausnehmend schlechte Chancen, irgendwo in Europa von Wissenschaftsjournalisten im Fernsehen aufgegriffen und verbreitet zu werden. Und zwar einfach deshalb, weil es im Fernsehen – anders als in den großen nationalen Zeitungen – an spezialisierten redaktionellen Einheiten mangelt, die nichts anderes tun als eben das: Sammeln und Verbreiten von relevanten Neuigkeiten aus der Wissenschaft. Weil dies von spezialisierten Redaktionen wie nano regelmäßig gemacht wird, akkumulieren sie Expertise, sie entwickeln effiziente Routinen, um relevante Nachrichten zu finden, sie entwickeln Bewertungsmaßstäbe, nach denen sie relevante von irrelevanten Nachrichten unterscheiden, sie akkumulieren Kenntnisse über den Forschungsfortschritt in von ihnen beobachteten Wissenschaftsgebieten.

Wenn es solche spezialisierten Sendungen im Fernsehen nicht gibt, bedeutet das nicht, dass nie Neuigkeiten aus der Wissenschaft im Fernsehen zu sehen sind. Tatsächlich finden sich regelmäßig Wissenschafts-Meldungen in den Nachrichtensendungen des europäischen Fernsehens.³ Es bedeutet vielmehr, dass es fast keine Fernsehredaktionen gibt, die auf den Umgang mit Wissenschaftsnachrichten spezialisiert sind.

ARD schafft es nicht, Wissenschaftsjournalismus ins Kerngeschäft zu integrieren

Das hat Folgen: Das Fernsehen ist auf neue wissenschaftliche Resultate organisatorisch schlecht vorbereitet. Es wird von bahnbrechenden Resultaten in der Regel überrascht. Praktisch aus dem Nichts erscheint irgendwo ein relevantes Resultat, über das Nachrichtenredaktionen berichten müssen. Sie verfügen aber eben nicht über etablierte Routinen, wie man so etwas macht. Stattdessen wenden sie die Routinen der Nachrichtenproduktion an, die sie auch im politischen Alltagsgeschäft anwenden, allerdings mit der wichtigen Einschränkung, dass sie wegen der mangelnden Spezialisierung anders als beim politischen Geschehen über nur wenig Expertise verfügen, um Wissenschaftsnachrichten auf qualitativ hochwertige Weise zu vermitteln. Zu dieser qualitativ hochwertigen Vermittlung gehört eben auch ein gehöriges Maß an Hintergrundwissen, ohne das zum Beispiel die Einordnung eines wissenschaftlichen Resultates unmöglich ist.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Hintergrundwissen meint nicht in erster Linie lexikalisches Wissen. Zwar erschreckt sich niemand in solchen Redaktionen, wenn er das Wort Ionenbindung hört. Darauf kommt es aber letztlich nicht an. Auf Wissenschaft spezialisierte Redaktionen sind nicht deshalb journalistisch nützlich, weil andere Redaktionen hier die Nerds finden, die sie anstelle von Wikipedia konsultieren können. Hintergrundwissen heißt vielmehr: Wissen darüber, wie wissenschaftliches Wissen fabriziert wird, welche Interessenlagen Forschungshandeln bestimmen, welche Forscherkoalitionen den Wissensfortschritt steuern, welche Experten überhaupt zitierfähig sind…. Kurz: Diese Redaktionen wissen, dass nicht überall dort, wo Wissenschaft, Studie oder Expertise drübersteht, auch Wahrheit drin ist. Und genau dieses Wissen ist außerhalb spezialisierter Wissenschaftsressorts nach allem, was wir wissen, nicht eben verbreitet.

Das weitgehende Fehlen spezialisierter Einheiten kann im Einzelfall durchaus nennenswerte Effekte zeitigen, was sich immer noch gut etwa am Beispiel der Venus von der Schwäbischen Alb illustrieren lässt, das hier ausführlich dargestellt ist. Worauf es hier ankam: Die aktuellen Redaktionen, in diesem Fall im SWR Regionalstudio Tübingen und der NDR Tagesschau kannten das Embargosystem wissenschaftlicher Zeitschriften nicht. Folge: Der SWR brach das Embargo. Sämtliche ARD Mitarbeiter wurden für eine gewisse Zeit vom Vorab-Service von Nature ausgeschlossen. Der Lapsus einer Regionalredaktion des SWR führte zu nicht weniger als dem temporären Ausschluss eines bedeutenden Teils der deutschen Wissenschaftspublizistik von einer wichtigen Ressource für die Planung und Umsetzung aktueller Wissenschaftsmeldungen.

Ebenfalls zur Veranschaulichung geeignet: Das Volksmärchen von der Heilkraft der rosa Salbe und den bösen Pharmafirmen, das der WDR in der Reihe Die Story einem Millionenpublikum erzählte und publikumswirksam in Plasbergs‘ Hart aber fair promotete. Behauptet wurde, dass Pharmafirmen eine Salbe verhinderten, die sich doch in „Studien“ als heilsam erwiesen hätte bei der Behandlung der Volkskrankheit Psoriasis (O-Ton Plasbergs: „Wir haben das recherchiert!“). Die Geschichte war so schlecht recherchiert, dass es den Sender erhebliche Mühen kostete, den öffentlichen Ärger zu besänftigen.

Diese Geschichten hätten sich völlig anders abgespielt, wären auf Wissenschaft spezialisierte Redaktionen involviert gewesen.  Waren sie aber nicht. Und das, obwohl solche Redaktionen ja bestehen, eben etwa nano. Dort sitzen die Redakteure, die ganz genau wissen, wie mit solchen Geschichten umzugehen ist. Sie kommen aber in den aktuellen Redaktionen wie etwa der Tagesschau oder den Tagesthemen nur ausnahmsweise vor. Von der Möglichkeit, die Expertise dieser Redaktion punktuell bei großen aktuellen Wissenschaftsgeschichten zu nutzen, machen die Tagesschau und die Tagesthemen nur ausnahmsweise Gebrauch. Anders als nationale Zeitungen schafft es die ARD einfach nicht, wissenschaftsjournalistische Expertise sendungsübergreifend in ihr Kerngeschäft zu integrieren.

Kein Mehrwert für die Medienorganisation

Man mag sich ja gar nicht vorstellen, welche Expertise und welches Know-how dieser monströse und – jawohl – finanziell beispiellos gepäppelte Senderverbund in Sachen Wissenschaft, Umwelt, Gesundheit oder Zukunftstechnologien mittelfristig akkumulieren könnte. Das gesetzt den Fall, dass es ihm gelänge, die bislang verstreute journalistische Wissenschaftskompetenz in einer einzelnen oder wenigen Zentralredaktionen organisatorisch zu bündeln, die wie Korrespondentenbüros für unterschiedliche Sendeplätze tätig würden – was ja mindestens in den Radioprogrammen des WDR so leidlich zu funktionieren scheint. Intelligent organisiert, könnten solche Einheiten regelmäßig „big-thought-Produkte“ erstellen, die den Kollegen aus der Investigativabteilung in nichts nachstehen.

Ohne eine solche organisatorische Anbindung ist es aber schwer zu begründen, warum nano unverzichtbar sein soll. Denn wenn man nur isoliert auf nano schaut und keinen Mehrwert für die Medienorganisation als Ganzes erkennen kann, dann ist nano ein Nischenprodukt, ein für die Zulieferer etwa des WDR irgendwie lästiges Zusatzangebot von 3sat mit durchschnittlich um die 100.000 vornehmlich in die Jahre gekommenen Zuschauern, alles andere als eine zukunftsweisende Antwort auf die zentrale Herausforderung öffentlich-rechtlicher Programmmacher: die Vergreisung des Publikums, besonders in den Dritten, die ungeachtet ihres vielfältigen Angebots zu Spartenkanälen der deutschen Rentner und Pensionäre geworden sind.

Dies gilt nicht allein für nano. Es gilt grundsätzlich für das gesamte Segment spezialisierter Wissenschaftssendungen, seien es Dokumentationen, sei es Edutainment, seien es Gesundheits- oder Umweltsendungen. Das mag ein Ergebnis einer Studie illustrieren, die die Reichweiten von Wissenschaftssendungen in zehn Ländern Europas verglich: Diese Sendungstypen sprechen überall in Europa vornehmlich ein älteres Publikum an, und das heißt: Menschen über 60.

Welchen Wissenschaftsjournalismus wollen wir machen?

Es gibt ein weiteres Argument, das einer Sendung wie nano – isoliert betrachtet – Schwierigkeiten bereitet. Denn nano hat wie andere aktualitätsorientierte Wissenschaftsinhalte in Zeitungen oder im Rundfunk mit strukturellen Problemen zu kämpfen, die ihren Ursprung in der Hyperspezialisierung seines Berichterstattungsfeldes Wissenschaft haben. Man mag zum tausendsten Mal darauf hinweisen, dass die Wissenschaft eine der wichtigsten gesellschaftlichen Ressourcen ist. So richtig das ist, so irrelevant ist das auch für Sendungen, die jeden Tag aufs Neue Aufmerksamkeit gewinnen müssen. Denn die gesellschaftliche Bedeutung der Wissenschaft wird nur äußerst selten offenbar auf der Ebene einzelner Studien, mit denen dieser Journalismus zu tun hat.

Aktualitätsorientierter Journalismus wie der bei nano sieht sich unabweislich dem Problem gegenüber, dass wissenschaftliche Neuigkeiten wesensgemäß sehr häufig ambivalenter Natur sind in dem Sinne, dass ihre eigentliche praktische Bedeutung – Angelpunkt ihrer gesellschaftlichen Relevanz – zum Berichterstattungszeitpunkt fast nie offen zu Tage tritt. Floskeln wie der, dass Resultat, Durchbruch oder gar Meilenstein xy in drei, fünf oder zehn Jahren zu diesem oder jenem führen könnte, sind Legion. Man mag derlei Floskeln vermeiden – dem Dilemma, dass wissenschaftliche Forschung in irgendeiner Weise anwendungsbezogen sein muss, um gesellschaftlich relevant zu werden, kann aktualitätsorientierter Wissenschaftsjournalismus nicht entkommen.

Wer nur auf die Sendung nano schaut, mag also Gründe finden, um ihre Existenzberechtigung zu hinterfragen, Bildungsauftrag hin oder her. Es gibt aber eben auch Gründe, in eine Debatte einzusteigen über die Möglichkeiten, die Wissenschaft als Ressource für gesellschaftlich relevante und damit journalistisch interessante Produkte viel besser auszuschöpfen, als das bisher geschieht. Interessant an einer solchen Debatte wäre nicht nur, welche Vorstellungen WDR-Hierarchen wie Tom Buhrow oder auch Jörg Schönenborn haben, interessant wäre auch, wo sich eigentlich die Profession der Wissenschaftsjournalisten zukünftig verankert sieht. Die Sparpläne des WDR sind kein schlechter Anlass, um sich innerhalb einer Profession darüber zu verständigen, welchen Wissenschaftsjournalismus man eigentlich machen will.

 

¹ Lehmkuhl, M. (2014). Current state and challenges of Science in today’s TV: A look on the interplay between supply and demand on European media markets. Actes D’Historia De La Ciencia I De La Tecnica, 7, 89–112. [pdf]

² Lehmkuhl, M., Karamanidou, C., Mörä, T., Petkova, K., Trench, B., & AVSA-Team (2012).
Scheduling science on television: A comparative analysis of the representations of science in 11 European countries. Public Understanding of Science, 21(8), 1002–1018.

³ Leon, B. (2008). Science related information in European television: a study of prime-time news.
Public Understanding of Science, 17(4), 443–460. [pdf]

° Lehmkuhl, M., Boyadjieva, P., Cunningham, Y., Karamanidou, C., & Mora, T. (2014).
Audience reach of science on television in 10 European countries: An analysis of people-meter data. Public Understanding of Science, doi: 10.1177/0963662514536295


Markus LehmkuhlMarkus Lehmkuhl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Wissenschaftskommunikation der Freien Universität Berlin. Er leitet die Redaktion von meta seit 2007.