Das Schweigen über die Daten zu den Organverpflanzungen ist der eigentliche Transplantationsskandal, kommentiert VOLKER STOLLORZ.

Quelle CC BY SA 2.0: Eunice/flickr

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Mein kleiner Rundgang in den Datenfriedhöfen der Qualitätssicherung war eine herbe Enttäuschung für mich als Medizinjournalisten. In Deutschland werden es Datenjournalisten vorerst schwer haben, die Qualität der Versorgung kritisch prüfen zu können, sofern sie sich dabei nicht allein auf die Einsichten interessierter Akteure verlassen wollen. Um das zu ändern, müssten clevere Datenjournalisten vermehrt Schätze heben und Geschichten über regionale Unterschiede der medizinischen Versorgung in Deutschland erzählen. Je eher aussagekräftige Daten oder krasse Missstände sichtbar werden, desto mehr Aufmerksamkeit könnte „Medical-Data-Driven Journalism“ gewinnen. Wie das geht, zeigen erste Erfahrungen aus anderen Ländern. Erwähnt sei hier vor allem die amerikanische Journalisten-Organisation „Pro-Publica“ mit ihren Projekten „Dollars for Docs“, „Patient Safety – Exploring the Quality of Care in the US“ oder „Post Mortem – Death Investigation in America“.

Ein zentraler Ansatz, die Qualität der Versorgung im Sinne der Patienten auch in Deutschland zu verbessern, läge schlicht darin, vermehrt zuverlässige Qualitätsmerkmale der medizinischen Versorgung für Dritte messbar und Defizite in einem zweiten Schritt transparent zu machen. Der Transplantationsskandal um Lebern hat deutlich gemacht, dass die bisher zaghaften Versuche der Qualitätsmessung á la Aqua-Institut Fehlanreize und Fehlverhalten und auch mangelnde Qualität nicht zuverlässig erkennen können oder wollen. Es fehlten hierzulande Anreize, resümiert die aktuelle Studie der Böll-Stiftung „Wie geht es uns morgen?“, die die für Versicherte „relevanten Qualitätsmerkmale definieren, angemessene Informationsformate und Kommunikationswege beschreiben und die entsprechenden Berichtspflichten für Leistungsbringende und Versicherungen zur Marktzugangsvoraussetzung machen“. Diesem nüchternen Befund ist wenig hinzufügen, außer dass er zur Basis für guten Datenjournalismus über die Fehlentwicklungen in der Medizin werden könnte. Dazu bräuchte es vermehrte „Open-Data“-Initiativen in der Medizin und in der Versorgung. Hier sollten sich vermehrt auch Verbände von Medizin- und Wissenschaftsjournalisten engagieren und einmischen.

Das Schweigen über die Daten ist der eigentliche Skandal

Was den Vertrauensverlust in die deutsche Transplantationsmedizin und den wachsenden Wettbewerb um knappe Organe angeht, behaupten inzwischen alle möglichen Akteure in der öffentlichen Diskussion, dass Transparenz das beste Desinfektionsmittel sei. Bei den aktuellen Debatten fällt aber auf, dass einige lautstarke Stimmen von Transplantationsmedizinern stammen, die in der Vergangenheit sehr wenig zur Transparenz der eigenen Zentren beigetragen haben. Manche Wortführer haben die Vorgänge in ihren eigenen Zentren nicht so dokumentiert, dass Dritte erfahren durften, welche Erfolge aus Patientensicht erzielt wurden. Andere haben ihre Transplantationsergebnisse nicht korrekt an Eurotransplant gemeldet. Das müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein bei der transnationalen, solidarischen Verteilung extrem knapper Ressourcen. Transplanteure in Zentren wiederum, die ihre Daten stets ordentlich gemeldet haben, werden hinter den Kulissen konfrontiert mit der Forderung, man solle sie aufgrund  schlechter Ergebnisse schließen. Allenthalben wird gefordert, unabhängige Kontrollstrukturen zu schaffen. Dass die aber nur wirken können, wenn die relevanten Daten erhoben und zeitnah ausgewertet werden, bleibt meist unerwähnt.

Datenfriedhöfe gibt es schon genug in der Transplantationsmedizin. Auch an Kommissionen, die Missstände diskutieren, mangelt es nicht. Kürzlich erst richteten Chirurgen und Internisten eine weitere „Task-Force Transplantationsmedizin“ ein mit Vertretern, die in den bisherigen Kommissionen noch nicht vertreten waren. Und das Bundesministerium für Gesundheit schrieb ein „Fachgutachten für ein nationales Transplantationsregister aus.“ Darin soll der „Ist-Zustand der Datenerfassung zusammengefasst“ und der „Mehrwert“ einer „darüber hinausgehenden einheitlichen Datenerhebung“ erarbeitet und Vorschläge zur Gestaltung eines Transplantationsregisters in Deutschland unterbreitet werden. Das Gutachten wird wohl erst nach der Bundestagswahl fertig werden. Es wird also dauern, bis die Qualität der Transplanteure öffentlich sichtbar wird. Das Schweigen über die Daten zu den Organverpflanzungen ist im Grunde der eigentliche Transplantationsskandal.

 


Volker StollorzDer Autor Volker Stollorz ist Diplom-Biologe. Seit 1991 ist er Wissenschaftsjournalist, derzeit arbeitet er für überregionale Zeitungen und Magazine, Hörfunk und Fernsehen.