Fälschungen und Übertreibungen in renommierten Zeitschriften werfen ein Schlaglicht auf die Auswahlroutinen von wissenschaftlichen Zeitschriften. Eine Analyse von MARTINA FRANZEN.

(Photo credit: CC BY NC 2.0: Serglu Bacioiu)

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Kurz vor Weihnachten 2005 machten sich namhafte Stammzellforscher in einem gemeinsamen Brief, abgedruckt in Science, dafür stark, die Aufklärung der Fälschungsvorwürfe gegen den Klonforscher Hwang Woo Suk nicht in den Medien auszutragen, sondern der Wissenschaft zu überlassen. Ein Whistleblower hatte zuvor Informationen an den koreanischen Fernsehsender MBC gespielt. Sie beinhalteten Hinweise auf wissenschaftliche Ungereimtheiten eines Science-Artikels, der von der Generierung patientenspezifischer Stammzellen handelte. Und sie betrafen die Angaben zur Praxis der Eizellspende in dem ersten Science-Papier der Arbeitsgruppe um Hwang. Redakteure des TV-Magazin PD Notebook machten den Betrugsverdacht schließlich öffentlich, und zwar nachdem die Ergebnisse eines genetischen Tests der Zellen vorlagen, den sie eigens in Auftrag gegeben hatten.

Das Ende der Geschichte ist bekannt: Die von der Universität Seoul beauftragte Untersuchungskommission bestätigte den Verdacht der Datenfabrikation, Science zog daraufhin beide Artikel zurück. Medien aller Welt begleiteten Hwang’s Aufstieg zum „König des Klonens“, aber sie sorgten auch für seinen Untergang.

Inzwischen hat sich die Medienlandschaft verändert. Mit der zunehmenden Verbreitung des „Jedermann-Journalismus“ (Gerd Blank) in Form von Blogs und Tweets werden die klassischen Medien herausgefordert, so das Thema des letzten WPK-Quarterly. Als Echtzeitmedien sind sie gegenüber den traditionellen Verbreitungswegen klar im Vorteil und da sie keine Medienorganisation voraussetzen, räumen sie der Kommunikation insgesamt mehr Freiheitsgrade ein. So bilden sich neue Beobachtungsposten der Gesellschaft heraus, jenseits der Massenmedien und des professionellen Journalismus. Auch die Wissenschaft gerät dabei ins Visier. Gleichzeitig macht die Wissenschaft selbst von den neuen technischen Möglichkeiten der Kommunikation Gebrauch. Der Streit um den Arsen-Artikel liefert interessantes Material, um nach dem medialen Einfluss auf die wissenschaftliche Kommunikation zu fragen. Ins Zentrum rückt dabei die Frage nach der Rolle wissenschaftlicher Zeitschriften im Medialisierungsprozess.

Wo dürfen wissenschaftliche Kontroversen ausgetragen werden?

Genau wie bei Hwang wurde im Zuge der aufkeimenden Kritik an den Ergebnissen von Felisa Wolfe-Simon et al. seitens der beteiligten Forschungsinstitution NASA und der Autoren gefordert, die Klärung des Sachverhalts nicht den Medien zu überantworten. Gestritten wurde hierbei aber nicht um legitime Sprecherrollen – Wissenschaftler vs. Journalisten –, sondern vor allem um den richtigen Austragungsort, wissenschaftliche Fachzeitschriften vs. Science Blogs. Damit ging es um eine Grenzziehung zwischen formeller und informeller wissenschaftlicher Kommunikation, denn zu den Bloggern gehörten in diesem Falle Fachkollegen, die ihre Kritik online vorbrachten.

Aber kurz zur Erinnerung: Was hatte es mit dem Arsen-Papier auf sich? Ende November 2010 wartete die NASA mit einer sensationellen Entdeckung auf, die sie für eine Pressekonferenz folgendermaßen ankündigte: „This finding of an alternative biochemistry makeup will alter biology textbooks and expand the scope of the search for life beyond Earth.“ Diese Nachricht erzeugte, wie kaum anders zu erwarten, eine außerordentlich hohe Resonanz.

Die ganze Welt spekulierte über die Existenz außerirdischen Lebens, bevor die Details der Studie überhaupt bekannt waren, denn der entsprechende Artikel wurde erst live zur Pressekonferenz am 2. Dezember in Science Express publiziert. Thema des Artikels war die Entdeckung eines Bakteriums, das Arsenat statt Phosphat in seiner DNA bindet. Sofort nach der Online-Veröffentlichung wurde Kritik an der methodischen Sorgfalt der Ergebnisse laut, und zwar nicht in den klassischen Printmedien oder in den wissenschaftlichen Publikationsorganen, sondern zunächst in Blogs.

Von dort wurde eine wissenschaftliche Kontroverse ausgelöst und geführt, die inzwischen in Science nachzulesen ist. 25 kritische Beiträge zu diesem Artikel gingen in der Science-Redaktion ein, eine scheinbar ungewohnt hohe Resonanz. Ein Drittel davon wurde Ende Mai 2011 online und eine Woche später in der Science-Printausgabe offiziell publiziert in Form von technical comments zusammen mit einer inhaltlichen Erwiderung der Autoren und dem entsprechenden, leicht revidierten Originalartikel. Zu diesem Zeitpunkt waren die zentralen wissenschaftlichen Argumente bereits andernorts ausgetragen.

Sowohl in den Blogs, den Massenmedien als auch in den Fachzeitschriften scheint es Konsens, dass in diesem Fall methodische Schwächen des Experiments zu falschen Schlussfolgerungen führten. An die Gutachter richteten die Blogs den Vorwurf, den Artikel trotz der eklatanten Mängel abgesegnet zu haben. Dabei ist es müßig darüber zu spekulieren, ob bei diesem Beitrag die passenden Gutachter ausgewählt wurden – ihre Anonymität bleibt gewahrt. Die NASA wurde für ihre sensationsheischende Informationspolitik gerügt. Aber die eigentliche Frage lautet, wieso wurde der Artikel von Science in dieser Form publiziert?

Renomeé einer Zeitschrift steht nicht für wissenschaftliche Qualität

Zeitschriftenredaktionen halten ihren redaktionellen Entscheidungsprozess gemeinhin intransparent und berufen sich auf ihre Rolle als Vermittler wissenschaftlicher Kommunikationsofferten, über deren Wahrheitsgehalt die Peers urteilen. Die Zeitschrift Science praktiziert genauso wie ihr britisches Pendant Nature ein hochselektives dreistufiges Entscheidungsverfahren, bei dem am Ende nur etwa acht Prozent aller Einreichungen veröffentlicht werden. Diejenigen Artikel, die diesen Filter passieren, gelten als wissenschaftlich zertifiziert.

Ein Artikel in diesen Zeitschriften eröffnet Karrierewege. Wissenschaftlerbefragungen zeigen, dass Science und Nature international und fachübergreifend zu den reputationsträchtigsten Zeitschriften zählen. Dies deckt sich mit einer aktuellen Berechnung von Thomson Reuters, dem Anbieter des Web of Science. Hier wurde der Einfluss von Science und Nature auf Fächergruppen analysiert. Das Ergebnis: Science und Nature nehmen in allen untersuchten 15 Fächergruppen, von der Mikrobiologie, über Astrophysik hin zu den Sozialwissenschaften (!), die vordersten Plätze bei Zitationsraten ein, was formal als Beleg für die wissenschaftliche Relevanz ihrer Artikel gewertet wird und sich in der Höhe ihres Impact-Faktors niederschlägt.

Den Verweis auf den hochkarätigen Publikationsort Science nutzte der NASA-Pressesprecher Dwayne Brown als Schutzschild gegen alle Kritik. Aber Forschungsergebnisse sind nicht automatisch wahr oder relevanter, nur weil sie in den hochrangigen Journalen veröffentlicht sind. Die Reputationshierarchie wissenschaftlicher Zeitschriften, die durch den Journal Impact-Faktor verstetigt ist, suggeriert jedoch, dass nur Spitzenergebnisse in den Top-Zeitschriften erscheinen.

Die primäre Funktion eines Zeitschriftenaufsatzes ist es, den wissenschaftlichen Austausch über neue Ergebnisse anzuregen. Wissenschaftliche Artikel repräsentieren kein stabilisiertes Wissen wie es in Hand- oder Lehrbüchern zu finden ist – das meinte Ludwik Fleck als er sagte, der Zeitschriftwissenschaft hafte „das Gepräge des Vorläufigen“ an – , sondern mit der Verpflichtung auf Neuheit und Originalität geht einher, dass das Wissen stets nur hypothetisch sein kann.

Akademische Zeitschriften als Torwächter der Wissenschaftskommunikation

Das institutionalisierte Peer-Review-Verfahren wissenschaftlicher Zeitschriften stellt eine erste Prüfung des Wissens dar. Da Gutachter die Forschungsergebnisse auf der Basis eines schriftlichen Manuskripts beurteilen müssen, geht es hier vor allem um die Frage, ob die präsentierten Daten fachlich relevant sind und ihre Interpretation plausibel ist. Ob Ergebnisse tatsächlich wahr und für die Forschung nützlich sind, stellt sich zumeist erst im konkreten Nachvollzug heraus, so zum Beispiel über Anschlussexperimente.

Als Torwächter der Wissenschaft kommt den akademischen Zeitschriftenredaktionen jedoch eine wichtige Filterfunktion zu: Sie regeln, was Eingang in die wissenschaftliche Kommunikation finden kann und was nicht. Je höher die zugeschriebene Reputation des wissenschaftlichen Mediums, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Forschungsergebnisse wahrgenommen werden, und zwar nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Wissenschaft. Von der Unmenge an wissenschaftlichen Fachzeitschriften werden nur einige wenige routinemäßig von Wissenschaftsjournalisten ausgewertet.

Inhaltsanalysen der Wissenschaftsberichterstattung genauso wie Befragungen von Journalisten zeigen, dass Science und Nature zu den Hauptinformationsquellen für den internationalen Wissenschaftsjournalismus zählen, wenn es um aktuelle Forschungsergebnisse geht.
Sie decken im Unterschied zum Großteil wissenschaftlicher Fachzeitschriften ein multidisziplinäres Spektrum ab und unterhalten eine eigene Nachrichtenredaktion, in der relevante Neuigkeiten aus der Wissenschaft, aber auch für die Wissenschaft journalistisch aufbereitet werden.

Neben der hefteigenen Nachrichtensektion bieten die Webauftritte inzwischen auch multimediale Elemente wie Interviews mit Autoren in Form von Podcasts. Redaktionelle Kontextualisierungen erleichtern massenmediale Anschlüsse, denn wissenschaftliche Kommunikation zeichnet sich durch eine spezialisierte Fachsprache aus, die einer Allgemeinverständlichkeit grundsätzlich im Wege steht. Mit ihren wöchentlichen Vorabinformationen über neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die jeweils mit einer Sperrfrist versehen sind, versorgen diese Zeitschriften Journalisten weltweit mit nachrichtenwerten Themen. Sie prägen damit den öffentlichen Diskurs über Wissenschaft.

Bei Science und Nature überlagern journalistische Relevanzkriterien Auswahlroutinen

Science und Nature prägen aber auch wissenschaftliche Themenkonjunkturen, da sie es sich zur Aufgabe gemacht haben, wissenschaftliche Manuskripte nicht nur nach ihrer wissenschaftlichen, sondern auch nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz zu selegieren, was sich mit journalistischen Nachrichtenwerten in Deckung bringen lässt. Damit einher gehen nicht nur bestimmte Anforderungen an die Darstellung des Wissens. Es sind vielmehr nur einige Themen, die sich überhaupt für ein Massenpublikum eignen. Die Entscheidung, welche Artikel in das Begutachtungsverfahren eingehen und welche am Ende veröffentlicht werden, obliegt dabei den Redakteuren, die häufig auf Basis divergierender Gutachten und gemäß der redaktionellen Selektionskriterien ein abschließendes Urteil fällen.

Wie die Gutachten zu dem Arsen-Artikel tatsächlich ausgefallen sind, lässt sich nicht klären, aber die Einwände lagen scheinbar auf der Hand. Ein News-Artikel von Elizabeth Pennisi, der zeitgleich zum Online-Veröffentlichungstermin im Dezember in Science erschien, rahmte die experimentellen Ergebnisse insgesamt eher als interessante Spekulation denn als valides Ergebnis. Die hierin zitierten Kritiker wiesen hier vor allem auf den Mangel an Tests hin, um die These zu substantivieren. Dass dieser Artikel hohe öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen würde, war leicht vorherzusehen, aber waren die wissenschaftlichen Ungereimtheiten ebenso im Vorfeld bekannt und damit die Kontroverse vorprogrammiert?

Zweifel an der Validität der Daten lagen auch im Falle Hwang vor. Auch hier meldete sich in einem begleitenden News-Artikel zu dem ersten veröffentlichten Science-Papier 2004 ein erfahrener Molekularbiologie zu Wort, der die These einer erstmaligen Klonierung menschlicher Embryonen als empirisch nicht untermauert ansah.

Im Nachhinein bestätigte sich der Verdacht, dass es sich bei dem Experiment nicht um klonierte, sondern um Zellen parthenogenetischen Ursprungs handelte. Diesen Verdachtsmomenten hätte man redaktionell nachgehen müssen angesichts der zu erwartenden öffentlichen Resonanz, so lautete jedenfalls das Urteil eines von Science eingerichteten Untersuchungsausschusses. Stattdessen, und das ist hinlänglich bekannt, wurde der Artikel als technischer Durchbruch des therapeutischen Klonens passend zum Jahrestreffen der AAAS, Herausgeber von Science, publiziert und eine Pressekonferenz mit den beteiligten Forschern vor Ort veranstaltet. Das Thema machte Schlagzeilen und prägte politische Regulierungsdebatten. Dementsprechend groß war die allgemeine Empörung, als herauskam, dass die präsentierten Daten nicht solide waren, obwohl sie in einem der hochrangigsten Journale veröffentlicht wurden. Im Nachgang äußerten einige Forscher die Hoffnung, dass der Fall Hwang als Gegengift einer zu beobachtenden ›Tabloidization‹ der Stammzellforschung dienen könne (Snyder/Loring).

Wissenschaft orientiert sich zunehmend an journalistischen Aufmerksamkeitsregeln

Der Hype um wissenschaftliche Ergebnisse, lanciert über die Pressearbeit der Zeitschrift oder der beteiligten Forschungseinrichtung, verhilft Autoren zwar zu sofortiger Prominenz; Wolfe-Simon wurde nach ihrer Science-Publikation vom Time Magazin in die Top 100-Liste der einflussreichsten Personen aufgenommen, der plötzliche Starruhm brachte Hwang Forschungsgelder, Ämter, Titel und sogar eine Sonderbriefmarke ein. Die beanstandete Inkongruenz zwischen der wissenschaftlichen Qualität und der öffentlichen Aufmerksamkeitsgenerierung der Ergebnisse erzeugt jedoch ein Glaubwürdigkeitsproblem, das nicht nur die Autoren, die Zeitschriften oder das Forschungsfeld, sondern die Wissenschaft als solche in Misskredit bringt.

Es zeigen sich hier die Konsequenzen einer „Medialisierung der Wissenschaft“ (Weingart 2001), d.h. eine gesteigerte mediale Beobachtung von Wissenschaft gepaart mit einer zunehmenden Orientierung der Wissenschaft an journalistischen Aufmerksamkeitsregeln. Mit Blick auf die wissenschaftliche Publikation als Kernelement der Wissenschaft lassen sich mögliche Anpassungsleistungen empirisch erfassen.

Wissenschaft ist im Zuge des Publizierens auf Organisationen angewiesen, die für die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens sorgen. Wissenschaftliche Zeitschriften operieren ähnlich wie massenmediale Angebote im Bereich der technischen Verbreitungsmedien, worauf bereits Giancarlo Corsi 2005 aufmerksam machte. Die wissenschaftseigene Form der Kommunikation ist damit organisationalen Bedingungen ausgesetzt, die nicht ausschließlich an die Leitdifferenz Wahrheit gekoppelt sind. Die Frage im Hinblick auf die Medialisierungsthese ist die, ob im Zuge der Darstellung von Wissen innerhalb von Publikationen wissenschaftliche von massenmedialen Relevanzkriterien überlagert werden.

Aus den Ergebnissen meiner Dissertation zur Rolle der Zeitschriften am Beispiel der Stammzellforschung (siehe Franzen 2011 im Detail) lassen sich folgende Thesen zur Medialisierung ableiten: Die Funktion wissenschaftlicher Zeitschriften ist primär in der wissenschaftlichen Qualitätsprüfung verankert. Dies erfordert jedoch Zeit. Im Zuge des wissenschaftlichen Wettbewerbsdrucks geht dieser zeitliche Puffer mitunter verloren: Der Veröffentlichungsprozess wird punktuell beschleunigt, Ergebnisse werden vorab online publiziert, die Sperrfrist für die mediale Berichterstattung wird aufgehoben und Wissen wird bereits vor seiner eigentlichen Zertifizierung durch das Peer-Review-Verfahren in den Massenmedien angekündigt. Punktuell kommt es im Zuge des Medialisierungsprozesses zu einer Anpassung an massenmediale Zeitstrukturen zulasten der Qualitätsprüfung. Wissenschaftliche Ergebnisse werden schnellstmöglich produziert, um schnellstmöglich publiziert und schnellstmöglich verbreitet zu werden.

Die Publikationspraxis großer Journals beschädigt die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft

In der Sachdimension lässt sich eine Bevorzugung für spektakuläre, unerwartete und überraschende Ergebnisse erkennen. Nicht die Normalwissenschaft, die an kleinteiligen Fragestellungen arbeitet, sondern die großen Themen, die einen lang erwarteten oder überraschenden Durchbruch verkünden, werden innerhalb der multidisziplinären High-Impact-Journale bevorzugt aufgegriffen und erzielen dementsprechend Aufsehen. Dies bedeutet drittens in der Sozialdimension eine Erweiterung des Publikums von der wissenschaftlichen Fachwelt zur Politik und anderen Öffentlichkeiten, an die die Kommunikation jeweils angepasst wird.

Welche Implikationen hat nun eine duale Orientierung an wissenschaftlichen Relevanz- und massenmedialen Erfolgskriterien auf der Ebene des redaktionellen Entscheidungshandelns für die wissenschaftliche Entwicklung? Die Beschleunigung des Veröffentlichungsprozesses kann funktional für die wissenschaftliche Entwicklung sein, da Forschungsergebnisse ungebremst Eingang in die Kommunikation finden können. Das Erreichen eines wissenschaftsexternen Publikums wie der Wirtschaft oder der Politik kann nützlich sein, wenn es die Zuwendung von Forschungsgeldern zur Folge hat und damit weitere Forschung antreibt.

Das eigentliche Problem für die Wissenschaft zeichnet sich jedoch in der Antizipation der redaktionellen Selektionskriterien seitens der Autoren ab. Unter Wissenschaftlern scheint es Konsens, dass die publizierbaren Ergebnisse in den reputationsträchtigen Journalen wie Science und Nature möglichst spektakulär sein müssen. Um die Annahme eines Manuskripts zu befördern, werden mitunter weitreichende Behauptungen aufgestellt, die nicht ausreichend durch die Daten gestützt werden, wie Gutachter inzwischen beklagen. Die Verkündung sensationeller Forschungsdurchbrüche läuft jedoch ins Leere, wenn die Ergebnisse der nachträglichen wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten. Aus der Verquickung wissenschaftlicher und medialer Erwartungsmuster kann ein Konflikt innerhalb der Wissenschaft entstehen, der, so die These, durch die spezielle Entscheidungslogik der Zeitschriften noch verstärkt wird.

Mit Luhmann (1990, 1997) lässt sich diese Entwicklung als Inflationierung des Wahrheitsmediums begreifen und als ein Effekt der Medialisierung der Wissenschaft interpretieren. Luhmann zufolge wird »Wahrheit […] inflationiert, wenn sie mehr Verwendungsmöglichkeiten in Aussicht stellt, als sich realisieren lassen« (ders. 1997: 384). Wie Luhmann theoretisch herleitet, reagiert das Wahrheitsmedium im Falle von Inflation durch Entwertung seiner Symbole, das heißt, die Annahmewahrscheinlichkeit ist nicht mehr gegeben (ebd.: 383f.).

In der Konsequenz: wissenschaftsinterner Vertrauensverlust

Das Wahrheitsmedium tendiert im Zuge einer Inflation zur Übertreibung, womit die Genauigkeit der Begriffe und die empirische Verifikation vernachlässigt werden. „Inflationäre Erscheinungen dieser Art sind, wie Fieber, ein deutliches Symptom dafür, daß das System sich gegen Außeneinflüsse wehrt, indem es ihnen Rechnung trägt (Luhmann 1990: 623). Die Stammzellforschung, die insgesamt als hochmedialisiertes Forschungsfeld gilt, lieferte hierzu einige eindrucksvolle Beispiele. Die zahlreichen unhaltbaren Aussagen und die Häufung redaktioneller Korrekturen angesichts der medial erzeugten Erwartungen hinsichtlich technischer Erfolge, ethischer Lösungen und der medizinischen Anwendbarkeit von Stammzellen bezeugen die Inflationierung der Wahrheitsversprechen.

In sozialer Hinsicht führt diese Symptomatik zu einem wissenschaftsinternen Vertrauensverlust. Verschiedene Zeitschriftenredaktionen haben im Lichte rezenter Fälschungsskandale und einer zunehmenden allgemeinen Skepsis gegenüber bahnbrechenden Ergebnissen redaktionelle Kontrollmechanismen eingeführt, um zu prüfen, ob die dargestellten Ergebnisse einen methodisch kontrollierten Herstellungsprozess durchlaufen haben.

Maßnahmen dieser Art, wie die stichprobenartige Kontrolle von Bildduplikationen oder ein in Auftrag gegebener experimenteller Nachvollzug bei „Hochrisikopapieren“, so eine Formulierung des bereits genannten Science-Untersuchungsausschusses für spezielle Manuskripte, die eine hohe mediale Wirksamkeit erwarten lassen, helfen die Glaubwürdigkeit wissenschaftlichen Wissens wiederherzustellen, bedeuten aber einen administrativen Mehraufwand, der nicht immer einzulösen ist. Solange an eine Publikation in den High-Impact-Zeitschriften berufliche Aufstiegschancen geknüpft sind, wird sich der Wettbewerb um die wenigen Publikationsplätze eher noch verschärfen, so lässt sich prognostizieren.

Die Inkorporation massenmedialer Erfolgskriterien in individuelle Publikationsstrategien sichert hierbei zuvörderst die nötige Aufmerksamkeit der Redakteure. Für Zeitschriften bietet die massenmediale Beachtung ihrer publizierten Ergebnisse ebenso Vorteile angesichts des Wettbewerbsdrucks um die besten Papiere. So wirbt die Nature Publishing Group beispielsweise mit der größtmöglichen Leserschaft und einer maximalen Verbreitung der Ergebnisse, was als Mehrwert für potenzielle Autoren herausgestrichen wird. Mediale Resonanz stärkt nebenbei den Bekanntheits- und Reputationswert von Zeitschriften, denn es ist empirisch belegt, dass die massenmediale Resonanz Zitationsraten von Artikeln befördert und somit der Impact-Faktor-Entwicklung dienlich sein kann.

Es ist jedoch eine Gratwanderung, wenn wissenschaftliche Zeitschriften auf massenmediale Wirksamkeit setzen. Keine wissenschaftliche Zeitschrift kann es sich leisten, Ergebnisse unter dem Siegel eines rigorosen Peer Review zu veröffentlichen, die überzeichnet sind oder sich als Fälschung herausstellen, insbesondere dann nicht, wenn diese für Marketingzwecke genutzt werden. Mit der Medienorientierung der Wissenschaft nimmt auch die öffentliche, moralisch codierte Beobachtung der Wissenschaft zu.

Kritische Beobachtungsinstanzen im Netz

Neben der Implementierung zahlreicher Ethikkodizes im wissenschaftlichen Publikationswesen haben sich in jüngster Zeit im Internet kritische Beobachtungsinstanzen etabliert, die sich dem wissenschaftlichen Publikationswesen und seinen Autoren widmen und zugleich auf Missstände aufmerksam machen. Der Blog Retraction Watch hat es sich zur Aufgabe gemacht, Fehler in der wissenschaftlichen Literatur öffentlich zu dokumentieren und den redaktionellen Umgang zu diskutieren.

Scientific Red Card verfolgt ein ähnliches Anliegen. Die Wikis Guttenplag und Vroniplag gehen noch darüber hinaus, indem sie Plagiate nicht nur dokumentieren, sondern sie auch nachweisen. Und eines ist offensichtlich: Die Wahrscheinlichkeit, dass Fehler entdeckt und publik gemacht werden, steigt mit der Exponiertheit der wissenschaftlichen Produkte. Dies ist ein zweites Erklärungsmuster dafür, weshalb die Zeitschriften mit hoher Reichweite die meisten Widerrufe ihrer Artikel verzeichnen.

Ein Kandidat für die nächste Korrektur ist der Science-Artikel zu dem Bakterienstamm GFAJ-1. Die Mikrobiologin Rosie Redfield, die die Kontroverse um die Ergebnisse einst ins Rollen brachte, unternimmt derzeit einen Replikationsversuch, und zwar öffentlich, zu verfolgen in ihrem Blog. Reine Wiederholungsexperimente sind aufgrund fehlender Originalität eigentlich nicht publizierbar, was Wissenschaftler normalerweise auch davon abhält, denn es lassen sich damit keine Reputationsgewinne erzielen. Die Frage ist, inwiefern sich durch die neuen technischen Möglichkeiten der Online-Kommunikation diese Regeln ändern und sich die Grenzen zwischen formeller und informeller Kommunikation in der Wissenschaft zukünftig verschieben. Blogs und andere elektronische Medien fordern somit nicht nur die Massenmedien heraus, sondern auch die Wissenschaft.

Referenzen
Corsi, Giancarlo (2005): Medienkonflikt in der Wissenschaft? Soziale Systeme, 11, 176– 188.
Franzen, Martina (2011): Breaking News. Wissenschaftliche Zeitschriften im Kampf um Aufmerksamkeit. Baden-Baden: Nomos.
Luhmann, Niklas (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2 Bde. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Snyder; Evan und Jeanne F. Loring (2006): Beyond Fraud – Stem Cell Research Continues. NEJM, 354, 321–324.
Weingart, Peter (2001): Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis von Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.

 


 

Franzen_Martina CroppedDr. Martina Franzen arbeitet an der Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie, Arbeitsbereich Wissenschaft und Technik