Die Offline-Medien berichten über das mutmaßlich Arsen fressende Bakterium so, als gäbe es das Internet nicht. VON MARKUS LEHMKUHL

In einer Veröffentlichung im Jounral Science beschrieben Forscher 2010, das Bakterium des Stammes GFAJ-1 könne auf Arsen wachsen.

In einer Veröffentlichung im Jounral Science beschrieben Forscher 2010, das Bakterium des Stammes GFAJ-1 könne auf Arsen wachsen. (Photo credit: Public Domain: US GOV – Nasa/Wikimedia)

Vordergründig war das mutmaßlich Arsen fressende Bakterium eine Geschichte wie viele vor ihr und mutmaßlich viele danach. Ein Fund, der wegen seiner möglichen Implikationen für unsere Vorstellungen von den Bedingungen des Lebens als bemerkenswert, als faszinierend zu gelten hat. Entsprechend wurde etwa der dpa-Bericht gut gedruckt, er fand sich Anfang Dezember 2010 insbesondere im Vermischten der Regionalzeitungen häufig. Auch die überregionale Qualitätspresse griff das Thema auf. Die gut eingespielten Routinen folgende journalistische Aufbereitung ist aber in diesem Fall bemerkenswert. Sie offenbart eine bemerkenswerte Ignoranz gegenüber einer Debatte, die in Weblogs Wogen schlug.

In den Berichten der offline-Medien steht, dass ein Bakterium entdeckt wurde, das etwas kann, was die Wissenschaft bisher nicht für möglich hielt. Es verwertet Arsen statt Phosphor. Die besondere Resonanzfähigkeit dieser Nachricht verdankt sich aber weniger diesem Befund an und für sich, sondern eher den Implikationen für die Möglichkeit außerirdischen Lebens. Denn wenn Leben statt auf Phosphor auch auf Arsen gründen kann, dann – so wird suggeriert – erweitere sich der Raum beträchtlich, in dem Leben möglich scheint.

Die Offline-Medien wecken Faszination statt zu politisieren

Das in Science publizierte Resultat lässt sich aus diesem Grund vom Journalismus gut nutzen, um verbreitete Nutzungsmotive innerhalb der Rezipientenschaft zu bedienen. Diese wendet sich, Befunden eines europäischen Forschungsprojektes zufolge (www.fu-berlin.de/avsa), wissenschaftlichen Ergebnissen unter anderem dann zu, wenn sie geeignet sind, ihre eigene Erfahrungswelt zu entgrenzen. Anders ausgedrückt geht es Zuschauern und Lesern von Wissenschaft darum, sich faszinieren zu lassen. Und das trifft eben ganz besonders auf Sachverhalte zu, die weit hinaus gehen über das, was der eigenen Erfahrungswelt zugänglich ist. Es zählen dazu Einblicke in ferne Zeiten oder unermesslich weit entfernte galaktische Räume, in denen sich möglicherweise Lebensformen tummeln, die Arsen verwerten.

Der Journalismus und auch die Wissenschaft selbst wissen natürlich um diese Vorlieben des Publikums und tragen ihm entsprechend Rechnung. Zum Beispiel dadurch, dass die Deutungen und Spekulationen der NASA-Astrobiologen, allen voran der von der Leiterin der Studie, Felisa Wolfe-Simon, weite Verbreitung finden: Wenn schon auf der Erde so etwas möglich ist, was kann das Leben dann noch? Oder auch durch das Veröffentlichen wolkiger Ankündigungen durch die NASA, das ein Resultat in Aussicht stellt, das unsere Vorstellungen über die Möglichkeiten überirdischen Lebens beeinflussen dürfte.

Will man das, was in den deutschen Zeitungen über diese Studie geschrieben worden ist, knapp zusammenfassen, so kommt man zu dem Schluss, dass nahezu alle die Anklänge an das Extraterrestrische nutzen, um Aufmerksamkeit für diese Studie zu wecken. Freilich gibt es Unterschiede im Grad. Zugleich lässt sich ein Bemühen erkennen, diese Befunde von unabhängigen Dritten bewerten zu lassen. Allerdings bleibt dieses Bemühen beschränkt auf Artikel, die erkennbar von auf Wissenschaft spezialisierten Autoren verfasst wurden. In den Boulevardzeitungen finden sich solche Einordnungen nicht. Viele Regionalzeitungen kürzten die entsprechende Passage im dpa-Bericht raus. Dort, wo sich diese Einordnungen finden, wird die geweckte Faszination im Regelfall moderat relativiert.

Allerdings gibt es Ausnahmen. Während dpa Experten zu Wort kommen lässt, die insbesondere die weitreichenden Folgerungen der verantwortlichen Wissenschaftlerin Felisa Wolfe-Simon nur ungenügend durch die veröffentlichten Daten gedeckt sehen, hält ein Experte in der Zeit es für „sicher, dass diese Bakterien massiv Arsenate in ihre Moleküle eingebaut haben“. Damit lassen es die allermeisten Zeitungen bewenden. Das faszinierende Ergebnis ist verkündet und ganz grob eingeordnet. Danach herrscht Schweigen. Nur eine sehr kleine Zahl deutschsprachiger Zeitungen greift das Thema danach noch einmal auf.

Die Bakterien werden in ein öffentliches Konsumgut verwandelt und dann vergessen

Damit bleibt die Berichterstattung einem ganz gängigen Muster verhaftet. Sie unterscheidet sich substantiell nicht vom Fund einer neuen Homo Art, der Entdeckung der ältesten figürlichen Darstellung eines Menschen durch den Menschen oder von Berichten darüber, dass Piranhas nicht so gefährlich sind, wie allgemein angenommen. Es ist ein Muster, dass Rezipienten zum Staunen anregt und dass ihnen im besten Fall einen von Bewunderung und Überraschung geleiteten Ausspruch entlockt: Faszinierend! Es ist eine Berichterstattung, die den Mister Spock in uns allen anspricht oder mindestens ansprechen soll. Die mutmaßlich Arsen fressenden Bakterien sind wie viele andere Befunde davor in eine Art öffentliches Konsumgut verwandelt worden, das unmittelbar anschließend dem Vergessen überantwortet wird.

Es spiegelt sich darin die Rückbindung des Journalismus an bestimmte, recht verbreitete Bedürfnisse des Publikums und damit des Marktes, der solche Konsumgüter nachfragt. In dem Bemühen, das Ergebnis von unabhängigen Dritten einordnen und bewerten zu lassen, spiegelt sich die Rückbindung des Journalismus an weithin akzeptierte Handlungsnormen für die berufliche Praxis, die im Fall von wissenschaftlichen Ergebnissen wie diesem implizieren, nicht Faszination zu wecken für etwas, das des Hinsehens gänzlich unwürdig ist. Dieses Bemühen um Einordnung und Kommentierung ist allerdings nicht gleichzusetzen mit der Frage, ob das Resultat „wahr“ oder „unwahr“ ist. Darum geht es bei den Einordnungen allenfalls am Rande.

Alle Beiträge des Dossiers "Wissenschaft(sjournalismus) im Web2.0" [Photo credit: CC BY SA 2.0: Markus Angermeier/ Wikipedia: bit.ly/1duKPsk)

Alle Beiträge des Dossiers „Wissenschaft(sjournalismus) im Web2.0“
[Photo credit: CC BY SA 2.0: Markus Angermeier/ Wikipedia: bit.ly/1duKPsk)

Stattdessen liegt das Schwergewicht der Bewertungen auf den Spekulationen um außerirdisches Leben. Die meisten Experten, die zu Wort kommen, sehen in dem Bakterium eher einen Ausweis für die extreme Anpassungsfähigkeit irdischen Lebens, sie stellen sich also gegen die Deutungsversuche der NASA Astrobiologen, die in dem Bakterium eine Art irdischer Referenz für die Wahrscheinlichkeit außerirdischen Lebens sehen wollen.

Diese beiden Orientierungen an Markt und Moral sind konstitutiv für die Identität des Journalismus. Es bietet sich allerdings an, von Fall zu Fall zu überdenken, ob die Art und Weise, wie sich diese beiden Orientierungen in der durch Routinen bestimmten journalistischen Praxis im Einzelfall ausprägen, nicht mindestens ergänzungsbedürftig sind. Es ist ja nicht in Stein gemeißelt, dass man neue wissenschaftliche Resultate nur im Gewande einer mehr oder minder aufregenden Entdeckung an den Mann und die Frau bekommen kann. In diesem konkreten Einzelfall ist sogar zweifelhaft, dass diese thematische Rahmung die eigentlich interessante ist.
Anlass für diese Zweifel ist das, was sich vor, aber besonders nach der Publikation des Befundes auf einzelnen Blogs abspielte.

Anlass für die Zweifel ist aber auch, dass die Lust auf Faszination selbstverständlich nicht sämtliche Segmente des Publikums in gleicher Weise kennzeichnet. Ausweislich der qualitativen Befunde des bereits erwähnten Forschungsprojektes, dass etwa 400 Menschen aus fünf europäischen Ländern über Motive für ihre Zuwendung zu wissenschaftlichen Inhalten hat diskutieren lassen, lässt sich sogar von einer gewissen Polarisierung des Publikums ausgehen, die sich besonders auf die Faszination weckende mediale Rekonstruktion wissenschaftlicher Befunde bezieht. Es gibt die Gruppe derjenigen, die das lieben.

Es gibt aber auch diejenigen, die es hassen. Angesichts dessen kann man die Rekonstruktion der Arsen Geschichte eine Art Kompromisslösung nennen, die klar die Züge des common sense trägt, die also den kleinsten gemeinsamen Nenner widerspiegelt. Man weckt Faszination und relativiert sie gleichzeitig moderat, ohne in eine wissenschaftliche Kontroverse einsteigen zu müssen, von der sicher angenommen werden muss, dass sie sowohl Journalismus als auch das von Gerhard Maletzke so genannte, „disperse“ Publikum überfordert.

GFAJ-1 = Give Felisa A Job

Orientierung am common sense steht für Massenmedien. Die Spezialdiskurse laufen bei diesem Thema im Wesentlichen im Internet, genauer gesagt in einzelnen Weblogs ab, zu der etwa der der kanadischen Wissenschaftlerin Rosie Redfield gehört (http://rrresearch.blogspot.com/2010/12/arsenic-associated-bacteria-nasas.html). Verglichen mit den offline Medien zeigt sich in den Blogs ein gänzlich anderer thematischer Fokus. Die Arsen fressenden Bakterien sind nicht Faszinosum, sie sind Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Kontroverse über die Frage, ob es wahr oder unwahr ist, was Felisa Wolfe-Simon ermittelt haben will. Und diese Diskussion wird – wie eigentlich immer bei wissenschaftlichen Kontroversen – bezogen auf die Art und Weise, wie Felisa Wolfe-Simon zu ihrem Hauptergebnis gekommen ist. Im Mittelpunkt der Erörterung in diesem Blog stehen methodische Details, denen ein molekularbiologischer Laie nicht folgen kann.

Die methodischen Mängel, die da moniert werden, sind fundamental. Etwa der, dass nicht hinreichend sicher ist, dass Arsen tatsächlich in die DNS eingebaut worden sei. Es sei ebenso möglich, dass es sich um Anhaftungen an der DNS handele, weil die nicht sorgfältig genug gewaschen worden ist. Dieser Vorwurf mutet an, als hätte ein Sozialwissenschaftler einen Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von Störchen und der Kinderzahl gefunden, aber vergessen, den Einfluss der Industrialisierung auf beide Variablen zu kontrollieren. Dieser Vorwurf wurde denn auch von Felisa Wolfe-Simon in einem Interview mit Science zurückgewiesen.
Ausgehend von den behaupteten methodischen Mängeln geriet auch das Wissenschaftsmagazin Science in den Fokus der Kritik. Wie ist es möglich, dass ein so renommiertes Wissenschaftsmagazin ein mutmaßlich so schlampiges Paper veröffentlicht? Das Interview des Wissenschaftsmagazins mit der Studienleiterin wirkt in diesem Zusammenhang fast grotesk. Science tut in dem Interview so, als hätte es mit der Qualität des publizierten Aufsatzes nichts zu tun. Es tut so, als sei lediglich die Studienleiterin Wolfe-Simon unter Rechtfertigungsdruck, nicht aber Science selbst. Dabei ist es vor allem die Zeitschrift, die unter erheblichem Rechtfertigungsdruck steht, weil die herausragende Qualität der in ihr publizierten Befunde so etwas wie die Bedingung für seine Stellung innerhalb des Wissenschaftssystems ist. Denn es geht um nichts anderes als den Vorwurf, die Zeitschrift würde in dem Bestreben, möglichst gute und interessante Forschungsergebnisse zu versammeln, mit Blick auf die Resonanzfähigkeit in der Öffentlichkeit im Zweifel das interessante einem guten Paper vorziehen.

Von all dem erscheint fast nichts in den Offline-Medien. Nur vier Tageszeitungen verweisen mindestens auf die Debatte in Blogs und rekonstruieren das Thema entweder als wissenschaftliche Kontroverse, oder aber sie legen wie die Süddeutsche Zeitung und partiell auch die FAZ den thematischen Schwerpunkt auf die Bedeutung, die dieser Einzelfall mutmaßlich für die Wissenschaftskommunikation und die internen Steuerungsmechanismen des Wissenschaftsbetriebes hat. Hochrangig publizierte Ergebnisse spielen bekanntlich eine zentrale Rolle für die Vergabe lukrativer Positionen. Nicht umsonst hat Felisa Wolfe-Simon die Bakterien GFAJ-1 genannt, das Acronym soll nach Recherchen von Dagmar Röhrlich für „Give Felisa A Job“ stehen.

Kaum eine Zeitung greift die Internetdiskurse auf

Bei zwei dieser vier Pressetitel, Tagesspiegel und Neue Zürcher Zeitung, lässt sich aber mit einer gewissen Sicherheit ausschließen, dass die Berichterstattung primär durch das veranlasst wurde, was sich in den Blogs abspielte. Wahrscheinlicher ist, dass ein tags zuvor erschienener Bericht in der New York Times vom 14.12.2010 (Poisoned Debate Encircles a Microbe Study’s Result) für beide Anlass war, die Arsen-Bakterien nochmals aufzugreifen. Diesmal nicht mehr als Weblogs und offline Medien stehen demnach bei diesem Einzelfall weitgehend wie zwei getrennte öffentliche Sphären nebeneinander. Es gibt kaum Berührungspunkte. Das gilt zunächst thematisch.

Während es in den Blogs um eine Wissenschaftskontroverse geht, partiell auch noch um die möglicherweise dysfunktionale Selbststeuerung der Wissenschaft, die erfolgreiche Forschungsvermarkter belohnt statt guter Wissenschaftler, spielt das in den offline Medien kaum eine Rolle. Noch gravierender ist der Unterschied bezogen auf das, was eigentlich die Kommunikation veranlasst.

Während die Zweifel am Wahrheitsgehalt des wissenschaftlichen Befundes und mutmaßlich auch die Ignoranz der Massenmedien es sind, die die Blogger zum Sprechen bringen, verhält es sich bei den offline Medien genau umgekehrt. Zweifel am Wahrheitsgehalt dieses Befundes veranlassen Massenmedien am ehesten dazu, den Befund gar nicht erst zu vermelden oder möglichst knapp abzufeiern. In diesem Einzelfall lässt sich das ganz gut illustrieren durch die Art und Weise, wie die Süddeutsche Zeitung das Thema am 03.12.2010 nachrichtlich aufbereitet. Sehr klein, als Randnotiz. Ursache sind erkennbar begründete Zweifel an der Aussagekraft des Befundes.

Massenmedien, das zeigen entsprechende Analysen immer wieder, können über wissenschaftliche Studien in aller Regel nur dann sprechen, wenn sie erfolgreich waren. Und sie sind außerhalb von Risikodiskursen, die anderen Regeln folgen als die Berichterstattung über Forschungsresultate, von einzelnen Ausnahmen abgesehen nicht in der Lage, wissenschaftliche Kontroversen zu thematisieren. Der italienische Wissenschaftssoziologe Massimiano Bucchi hat das lakonisch damit erklärt, dass „scientific controversy per se tends to confuse both reporter and readers“.

Welches Verhältnis besteht zwischen Weblogs und den Offline-Medien?

Es spricht deshalb einiges dafür, das Verhältnis zwischen den Massenmedien und den Weblogs in diesem Fall als komplementär zu bezeichnen. „Komplementarität“, schreibt Christoph Neuberger in seinem Buch „Journalismus im Internet“, „ist erreicht, wenn sich Medientypen in ihrem Leistungsprofil unterscheiden und einander aus der Nutzersicht ergänzen.“ Allerdings dürfte das nur dann gelten, wenn sich Nutzer nicht durch ihre Zeitung verschaukelt fühlen, die ihnen mit Emphase eine faszinierende wissenschaftliche Sensation auf den Frühstückstisch legt, die nach zwei Klicks im Internet als Flim Flam erscheint. In einem solchen Fall ist auch eine Konkurrenzbeziehung denkbar. Hier der leichtverdauliche Flim Flam, dort die umfängliche und angemessene Bewertung.

Und es dürfte nur dann gelten, wenn es auch eine Schnittmenge gibt zwischen dem Publikum der Massenmedien und den Lesern von Weblogs. Dafür gibt es in diesem Fall durchaus Indizien. Nach Recherchen der New York Times hat allein der Blog von Rosie Redfield, der üblicherweise über einige hundert Besucher nicht hinauskommt, kurz nach der Veröffentlichung der Arsen Studie in Science um die 90.000 Zugriffe verzeichnet. Das ist zwar noch kein Massenpublikum. Die Zahl müsste aber jedem journalistisch denkenden klar machen, dass da draußen ein Publikum von nicht genau zu beziffernder Größe ist, das selbst vor schwer Verdaulichem nicht zurückzuschrecken scheint, weil es offensichtlich mehr und anderes wissen will über dieses Bakterium, als in den offline Medien geboten wurde.

Weblogs repräsentieren mehr zersplitterte Zufallsgruppen

Die Zahl macht darüber hinaus ein wichtiges Merkmal von Internetangeboten deutlich. Sie können sich bruchlos und ganz plötzlich in ein durchaus massenattraktives Angebot verwandeln. In diesem Fall sehr wahrscheinlich deshalb, weil die Art der Popularisierung durch die NASA und besonders die konsonante Berichterstattung in Massenmedien in einem bestimmten Segment des Publikums Zweifel gesät hat, denen nachgegangen wird.

Die Berichterstattung in Massenmedien über das Thema allein ist aber nicht hinreichend, um den Zuwachs der Nutzerzahlen bei diesem einzelnen Weblog zu erklären. Die Weblogs sind in diesem Fall mehr als bloßer Resonanzraum der Medienberichterstattung. Es ist plausibel anzunehmen, dass es anders als etwa Jürgen Habermas annimmt, im Internet so etwas wie Vermittlungsinstanzen gibt, die von Fall zu Fall der Fragmentierung der Öffentlichkeit „in eine riesige Anzahl von zersplitterten, durch Spezialinteressen zusammengehaltenen Zufallsgruppen“ etwas entgegensetzen und so von Fall zu Fall durchaus etwas schaffen können, was auch in liberalen Systemen als funktionales Äquivalent für Öffentlichkeitsstrukturen gelten kann.

Zu denken ist dabei weniger an eine national begrenzte, politische Öffentlichkeit. Ihr Kennzeichen besteht darin, dass einzelne Akteure mit Blick auf irgendein politisches Thema Positionen und Argumente in den öffentlichen Diskurs einspeisen, die anschließend zum Bezugspunkt werden für Positionen und Argumente von anderen Akteuren. Im Idealfall führt das dazu, dass sich in der Öffentlichkeit ein Meinungsbild bildet, dass bindend wirkt für politische Entscheidungsträger. Solche Diskurse werden von Massenmedien beherrscht. Deren Selektionsregeln entscheiden über den Zugang zur Öffentlichkeit.

Zu denken ist eher an eine internationale Öffentlichkeit, deren Bezugspunkt nicht nationale Regierungen sind. Stattdessen zielen sie auf das Regime global operierender Wissenschaftsverlage. Wie sich gezeigt hat, vermochte diese Öffentlichkeit in diesem Fall durchaus so etwas wie einen Rechtfertigungsdruck auf Science zu entfalten. Angesichts der sich im Internet bildenden öffentlichen Meinung zu dieser Studie kann das Magazin nicht anders, als darauf bezogen zu kommunizieren. Man macht ein Interview mit der Studienleiterin, man kündigt sorgfältige Prüfungen an. Wenn man so will, reagiert Science auf eine öffentlich relevant gewordene Demonstration des substantiierten Zweifels.

Um im Bild zu bleiben, wird man sagen dürfen, dass es die offline Medien in diesem Fall versäumt haben, über diese Demonstration zu berichten. Sie haben es versäumt, die Aufmerksamkeit für die Arsen Studie auch dafür zu nutzen, einer größeren Öffentlichkeit Einblicke in das Innenleben des Wissenschaftsbetriebes zu verschaffen. Sie zeigen sich fixiert darauf, der Öffentlichkeit das einzelne Ergebnis und seine wissenschaftliche Bedeutung zu erklären. Sie zeigen sich dem public understanding of science verhaftet statt dem public engagement with science. Von dem Versuch einer Politisierung sehen die offline Medien mit wenigen Ausnahmen ab.

Es ist eine empirische Frage, warum das in diesem Fall so war. Diese Frage kann jede Redaktion für sich selbst beantworten. War es eine bewusste Entscheidung, eine notwendige Referenz an die Marktbedingungen? Oder ist die Resonanz in Weblogs auf diesen wissenschaftlichen Befund ein blinder Fleck in der redaktionellen Optik? In einem solchen Fall sollten sich Redaktionen fragen, wie sich Resonanz im Internet in die routinisierten Abläufe der Redaktion integrieren lässt. Das Arsen-Bakterium wird nicht der letzte Fall bleiben, für den das wichtig wird.

 


Markus LehmkuhlDer Autor Markus Lehmkuhl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Wissenschaftskommunikation der Freien Universität Berlin. Er leitet die Redaktion von meta seit 2007.