Ein Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten.

Helfen Umfragen, um Moraldilemmata für autonome Autos zu lösen? (Nature)

Eine Onlineumfrage, 40 Millionen Entscheidungen, gefällt von Menschen aus 233 Ländern und das Ergebnis: Es gibt über Grenzen hinweg einige gemeinsame Einstellungen dazu, wie sich autonom fahrende Autos in moralischen Dilemmata verhalten sollen. In solchen Dilemma-Situationen muss zwischen zwei intuitiv moralisch ähnlich schlechten Ergebnissen mit Personenschaden – zum Beispiel dem Tod eines Kindes oder dem Tod einer erwachsenen Frau – gewählt werden. Dazu haben sich in der Umfrage drei weltweit geteilte Einstellungen herauskristallisiert. Erstens, die Tendenz menschliches Leben vor tierischem zu schützen. Zweitens, mehr Leben statt weniger Leben zu schützen. Und schließlich, junge Menschen gegenüber älteren zu bevorzugen. Allerdings haben die Ergebnisse auch Unterschiede zwischen verschiedenen Ländergruppen zum Vorschein gebracht. In sozioökonomisch ungleicheren Ländern hat es eine stärkere Tendenz gegeben, Menschen mit hohem Status zu schützen. In Ostasien hat es eine geringere Präferenz für junge Menschen gegeben. Die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Studie hilft, global akzeptierte Regeln für das Verhalten von autonomen Fahrzeugen in Dilemma-Situationen zu entwickeln. Ihre Studie haben die Wissenschaftler des US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology am 24.10.2018 im Fachblatt Nature veröffentlicht.

Mindestens sechs Mal ist von deutschsprachigen Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Übereinstimmend haben die Berichte den Fachartikel eher kritisiert: Ethische Regeln könnten nicht aufgrund von Umfragen aufgestellt werden. Zudem seien die dargestellten Dilemmata weit entfernt von der Realität des autonomen Fahrens, da solch genaue Handlungsanweisungen nicht programmierbar seien. Vielfach ist aus den vom Science Media Center Germany (SMC) bereitgestellten Interviews mit unbeteiligten Expert*innen zitiert worden. Die dpa, scinexx.de und watson.de haben daraus eine Expertin der Universität Freiburg zitiert, aus deren Sicht man sich zur Lösung der ethischen Probleme eher an bestehenden Menschenrechten orientieren sollte als an Umfragen. Außerdem haben die dpa, Spiegel Online, der Standard und watson.de aus den SMC-Interviews einen Experten des Karlsruher Instituts für Technologie zitiert. Dieser hat kritisiert, dass die Dilemmata in der Realität keine Bedeutung hätten und dass zudem unklar sei, ob die Umfrage-Entscheidungen der Teilnehmenden tatsächlich etwas über ihr Verhalten in solchen Situationen aussagen würden.

Steckbrief

Journal: Nature

Pressemitteilungen: Ja (vom Forschungsinstitut)

Aufgegriffen von:

  • dpa (24.10.2018): Süddeutsche Zeitung Online (24.10.2018), Zeit Online (24.10.2018), Neue Presse (26.10.2018)
  • Spiegel Online (24.10.2018)
  • watson.de (24.10.2018)
  • Standard.at (25.10.2018)
  • Deutsche Welle (26.10.2018)
  • scinexx.de (26.10.2018)

Erstmals Mikroplastik in menschlichen Stuhlproben nachgewiesen (Studie noch unveröffentlicht; Ergebnisse präsentiert auf der 26sten United European Gastroenterology Woche in Wien)

Acht Menschen aus Europa und Asien sind untersucht worden und bei allen haben Wissenschaftler*innen Mikroplastik im Stuhl nachweisen können. Durchschnittlich sind 20 Mikroplastik-Partikel pro zehn Gramm Stuhl gefunden worden. Dabei ist auf zehn verschiedene Plastikarten getestet worden, von denen neun gefunden worden sind. Am verbreitetsten waren Polypropylen (PP) und Polyethylenterephtalat (PET), welche in allen Proben vorhanden waren. Außerdem haben die Studienteilnehmer*innen Auskunft über ihre Ernährung sechs bis sieben Tage vor Entnahme der Stuhlprobe gegeben: Alle hatten Nahrungsmittel aus Plastikverpackungen konsumiert, niemand sich ausschließlich vegetarisch ernährt. Allerdings lassen sich aufgrund der geringen Anzahl der Proben keine statistisch belastbaren Zusammenhänge zwischen Ernährung und Plastik im Stuhl gewinnen. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler*innen der Medizinischen Universität Wien und des österreichischen Umweltbundesamts am 23.10.2018 auf einer Konferenz der United European Gastroenterology in Wien präsentiert. Ihren Angaben zufolge ist es die erste derartige Untersuchung bei Menschen gewesen. Ob das Mikroplastik im Körper Schaden anrichtet, ist noch unklar. Die Wissenschaftler*innen vermuten aber aufgrund von Tierstudien, dass besonders kleine Plastikpartikel bis ins menschliche Blut, Lymphsystem und in die Leber gelangen könnten. Zudem könnte Mikroplastik sich eventuell im Körper anreichern und Immunreaktionen auslösen oder als Überträger anderer pathogener Chemikalien fungieren.

Von Mindestens acht deutschsprachigen Medien ist unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. In der dpa-Meldung zur Studie ist die Einschätzung des Bundesamtes für Risikobewertung zitiert worden, wonach eine gesundheitliche Risikobewertung zum Mikroplastik wegen mangelnder Forschungserkenntnisse momentan nicht möglich sei. In der Welt ist eine an der Studie unbeteiligte Expertin der Universität Tübingen interviewt worden. Die Expertin hat im Interview zur Besonnenheit gemahnt. Es sei noch zu wenig darüber bekannt, ob Mikroplastik überhaupt negative Effekte auf Menschen habe. Außerdem hat die Deutsche Welle einen unbeteiligten Experten der Universität York aus einem kürzlich veröffentlichten Artikel allgemein zur Bedeutung von Mikroplastik zitiert. Ihm zufolge sei der Einfluss auf die menschliche Gesundheit unbewiesen und andere Chemikalien seien gefährlicher.

Steckbrief

Journal: Bislang nur als Präsentation veröffentlicht.

Pressemitteilungen: Ja (von United European Gastroenterology[https://www.eurekalert.org/pub_releases/2018-10/sh-mdi101518.php])

Aufgegriffen von:

  • Deutsche Welle (22.10.2018)
  • APA: Neue Zürcher Zeitung Online (23.10.2018)
  • dpa: Spiegel Online (23.10.2018), Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.10.2018)
  • scinexx.de (23.10.2018)
  • Standard Online (23.10.2018)
  • tagesschau.de (23.10.2018)
  • Südwest Presse (24.10.2018)
  • Welt (24.10.2018)

*Protokoll: Hendrik Boldt

 

* Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC [https://www.sciencemediacenter.de/] einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring [http://www.meta-magazin.org/2018/04/04/waehlerische-wissenschaftsjournalisten/] in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.