Was tun gegen Fake News? Aus Sicht der Medienwirkungsforschung sind Factchecking oder Richtigstellen keine geeigneten Gegenmittel. Ein Interview mit Dr. Philipp Müller, Medienforscher an der Uni Mainz. VON NIKOLAI PROMIES

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Spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump in den US-Präsidentschaftswahlen wird viel und oft sehr besorgt über den Einfluss von „Fake News“ diskutiert. Viele Medien wollen diesen Einfluss durch Factchecking und öffentliches Richtigstellen von falschen Behauptungen bekämpfen. So will Facebook in Deutschland mit dem Recherchezentrum Correctiv zusammenarbeiten, um Inhalte zu prüfen. Die Washington Post bietet ein Factchecking von Trumps Tweets an. Sind solche Mittel überhaupt geeignet, um gegen Fake News vorzugehen?

Ich bin nicht besonders optimistisch! Es gibt zwar noch keine Studien, die sich konkret mit dem aktuellen Phänomen Fake News befassen. Aus der existierenden Forschung zur Rezeption und Wirkung von Nachrichteninhalten lässt sich aber einiges ableiten.

Zunächst einmal ist bekannt, dass sich Menschen Nachrichteninhalten selektiv zuwenden, dass es eine gewisse Bevorzugung von Nachrichten gibt, die die bereits vorhandenen Überzeugungen bestätigen. Dieses Phänomen wird Selective Exposure genannt. Es wird auch oft als Argument dafür gesehen, dass auf sozialen Netzwerkseiten wie Facebook Filter Bubbles entstehen, in denen wir uns ein persönliches Informationsrepertoire einrichten, das im Wesentlichen unser Weltbild stützt. Daher muss man bezweifeln, ob ein solches Factchecking diejenigen überhaupt erreichen würde, die einer Fake News glauben schenken.

Und es geht noch weiter: Wir wenden uns nicht nur bevorzugt Nachrichten zu, die unsere Überzeugungen stützen, wir verarbeiten Informationen tendenziell auch so, dass sie zu unserer bestehenden Meinung passen. Wer ein Weltbild vertritt, das eine Verschwörung der Eliten gegen das Volk vermutet – und das tun zurzeit nicht wenige Menschen – wird einer Falschmeldung, die diesem Weltbild entspricht, auch dann noch glauben, wenn daneben ein Factchecking-Hinweis steht, der sie als Falschmeldung abtut. Dieser Hinweis wird dann als Teil der großen Verschwörung der Eliten interpretiert. Dieses psychologische Phänomen heißt in der Forschung Confirmation Bias, eine Präferenz für Schlussfolgerungen, die den eigenen Vorstellungen entsprechen.

Ich befürchte, die Gegenrede mit Factchecking hat also eine begrenzte Wirkungskraft. Wenn man sich zum Beispiel in einen Streit um die Zuschauerzahl bei Donald Trumps Amtseinführung begibt, reibt man sich darin nur auf. Nur wenige überzeugte Trump-Anhänger wird man mit Factchecking zum Überdenken ihrer Einstellungen bringen. Das Gefährliche daran ist aber, dass auf diese Weise zwei gesellschaftliche Lager entstehen, die sich gegenseitig der Verbreitung von Lügen und Unwahrheiten bezichtigen und sich darüber hinaus nicht mehr viel zu sagen haben. Das verhindert die Debatte über politische und gesellschaftliche Sachfragen. Es geht nur noch darum, wer Recht hat.

Philipp Müller arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik der JGU Mainz.

Warum sind denn scheinbar derart viele Menschen in ihrem Weltbild empfänglich für Fake News oder „alternative Wahrheiten“ und so wenig erreichbar für klassische Medien?

Es gibt in vielen Ländern weltweit einen nicht zu unterschätzenden Anteil an Menschen, der sich von den gesellschaftlichen Entwicklungen entfremdet fühlt. Globalisierung und Digitalisierung haben das Weltgeschehen sehr undurchsichtig gemacht. Die gesellschaftlichen Eliten in Politik, Wirtschaft, Medien und auch Wissenschaft haben offensichtlich zu wenig getan, um den Menschen das Gefühl zu vermitteln, mit ihrem Unwohlsein gehört und Ernst genommen zu werden. Auf diesem Nährboden haben populistische, oft rechtspopulistische, politische Akteure, wie die AfD in Deutschland, Donald Trump oder der Front National in Frankreich, mit elitenkritischen Botschaften breite Bevölkerungsschichten auf ihre Seite gebracht.

Der Aufschwung von Fake News ist mit dem Aufschwung des Rechtspopulismus eng verknüpft. Denn viele Fake News spiegeln das elitenkritische und migrantenfeindliche Weltbild der Rechtspopulisten wieder, indem sie zum Beispiel etablierte Politiker mit unwahren Vorwürfen attackieren oder Migranten als Täter von Verbrechen darstellen, die so gar nicht stattgefunden haben.

Dahinter liegt ein Phänomen, das als „Truth Effect“ bekannt ist. Wenn wir Unwahrheiten mehrfach und vor allem aus verschiedenen Quellen präsentiert bekommen, dann kann es passieren, dass wir ihnen glauben, selbst, wenn wir anfangs skeptisch waren. Indem populistische Politiker ihre Botschaften immer wieder, auch in etablierten Medien wiederholen, setzen sich diese in den Köpfen fest. Wenn solche Botschaften dann auch noch Widerhall in Meldungen von Nachrichtenseiten wie Breitbart, RT deutsch oder compact finden, kann sich ihr Effekt noch verstärken. Denn diese Nachrichtenanbieter sind auf den ersten Blick erst mal von den populistischen Politikern unabhängige Quellen. Dadurch werden rechtspopulistische Weltanschauungen von zunächst tabuisierten Meinungen zu akzeptablen Positionen, denen wachsende Bevölkerungsgruppen zustimmen können. Falschmeldungen sind in diesem Zusammenhang ein strategisches Instrument.

Dass Falschmeldungen als Instrument verwendet werden, ist ja aber kein neues Phänomen. Beispielsweise in Form von Propaganda gab es das auch schon früher in großem Umfang. Was unterscheidet die aktuelle Entwicklung von „herkömmlichen“ Fake News?

Der Hauptunterschied zu früheren Falschmeldungen besteht wohl darin, dass diese im Internet-Zeitalter demokratisiert wurden. Durch Social-Media-Technologien kann jeder relativ einfach und kostengünstig zum Verbreiter von Falschmeldungen werden. Der Zwischenschritt über den professionellen Journalisten ist weggefallen. Die Gruppe der Akteure, die Nachrichten öffentlich verbreiten und dafür ein großes Publikum finden, ist sehr viel unübersichtlicher geworden. Es fällt viel schwerer, zu identifizieren, woher eine Falschmeldung stammt, und ihren Urheber zur Verantwortung zu ziehen.

Professionelle Journalisten sind allein aus Reputationsgründen darum bemüht, möglichst keine Falschmeldungen zu verbreiten und korrigieren sie, sobald ihnen Fehler nachgewiesen werden. Würden sie das nicht tun, würden sie und das Medienhaus, für das sie arbeiten, ihre Glaubwürdigkeit riskieren und damit ihre wirtschaftliche Existenz gefährden. Das ist im Social-Media-Zeitalter nicht zwangsläufig nötig, weil einerseits die Quelle einer Nachricht weniger stark im Fokus steht und sich andererseits ein breiter Chor von Unterstützern auch für Falschmeldungen finden lässt.

Bevor es das Internet gab, musste ich zwangsläufig die Berichterstattung etablierter Zeitungen oder Fernsehsender nutzen, um überhaupt etwas darüber mitzubekommen, was in der Welt passiert. Und dort wurde ich mit Nachrichten konfrontiert, die die journalistischen Qualitätsfilter passiert haben. Das ist natürlich auch keine hundertprozentige Garantie für ihre Qualität und Richtigkeit. Kritik am professionellen Journalismus lässt sich in vielfältiger Weise üben und ist sicherlich berechtigt. Aber in jedem Fall produzieren professionelle Journalisten die besseren und vertrauenswürdigeren Nachrichten als Quellen, deren Hintergrund nicht klar nachvollziehbar ist. Im Social-Media-Zeitalter hingegen kann ich mir ein Informationsumfeld schaffen, indem professionell journalistisch aufbereitete Nachrichten eine untergeordnete oder gar keine Rolle spielen.

Die Betreiber von Netzwerkseiten wie Facebook gehen nur zögerlich gegen Fake News oder auch die Verbreitung von Hetze vor. Woran liegt das, welche Verantwortung tragen sie?

Hier muss man wohl den Blick auf das Geschäftsmodell richten. Traditionelle Medienhäuser können es sich nicht erlauben, allzu viele offensichtliche Falschmeldungen zu verbreiten. Das würde dem Kern ihrer Markenbotschaft, vertrauenswürdige und relevante Informationen zu verbreiten, zuwiderlaufen. Der Markenkern von Sozialen Netzwerkseiten ist jedoch nicht, vertrauenswürdige oder gar wahre Informationen zu vermitteln, sondern die Kommunikation zwischen allen Mitgliedern einer Gesellschaft zu ermöglichen.

Dieser Inklusionsanspruch, alle machen mit, alle sind vertreten, ist es, der die massenhafte Verbreitung von Fake News möglich macht. Facebook hat nichts davon, einzelne Gruppierungen oder Personen auszuschließen, weil diese die Unwahrheit verbreiten. Es verdient mit jedem Nutzer mehr Geld und kann sein Versprechen, eine Plattform zum Austausch mit jedermann zu sein, nur dann einlösen, wenn auch wirklich alle an Bord sind. Ein Nebeneffekt dieses Geschäftsmodells ist es, dass es damit eine öffentliche Plattform für den Austausch jedweder Art von, auch obskurer und falscher, Informationen wird. Eine solche Plattform gab es vor der Entwicklung von Sozialen Netzwerken nicht.

Gäbe es nicht vielleicht auch Möglichkeiten, diesem Inklusionsanspruch von Sozialen Netzwerken treu zu bleiben und gleichzeitig etwas gegen solche Entwicklungen zu tun?

Es wäre wünschenswert, wenn sich die Betreiber der Sozialen Netzwerkseiten ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst wären. Wir müssen diskutieren, wie man es schafft, dass auf Sozialen Netzwerken weiterhin jeder jede Art von Meinung äußern kann, aber dennoch sichergestellt wird, dass sich niemand im Ton vergreift und dass Hetze, Propaganda und Falschmeldungen weniger Resonanz finden. Mir fällt dafür aber auch kein Patentrezept ein.

Algorithmen sind sicher ein Ansatzpunkt. Die sollten Nutzer im Idealfall mit einem pluralistischen Informationsrepertoire versorgen und nicht ausschließlich darauf zugeschnitten sein, den Nutzerpräferenzen zu entsprechen und damit das Weltbild, das ein Nutzer bereits mitbringt, zu bestätigen. Das ist allerdings kaum mit einer gewinnorientierten Logik vereinbar. Ökonomisch gibt es keinen Anreiz für die Betreiber, ihre Algorithmen so einzustellen, da sie befürchtet müssen, dass Nutzer dadurch verprellt werden könnten. Soziale Netzwerkseiten müssten dazu also vermutlich gemeinwohlorientiert organisiert sein und nicht als gewinnorientierte Wirtschaftsunternehmen.

Factchecking ist also keine Lösung und es kann auch nicht erwartet werden, dass die Sozialen Netzwerke ihr Geschäftsmodell ändern. Was kann dann überhaupt gegen den Einfluss von Fake News getan werden?

So weh es manchmal auch tun mag, widersprechen hilft nicht viel. Aussichtsreicher ist es, das Weltbild, das von Falschmeldungen unterstützt wird, ernst zu nehmen. Man erreicht Menschen nur, wenn man sie da abholt, wo sie stehen. Und das bedeutet in der aktuellen Situation. Man muss das wachsende Unbehagen mit Globalisierung und Digitalisierung ernst nehmen. Man muss eingestehen, dass die gesellschaftlichen Eliten tatsächlich Fehler gemacht haben im Umgang mit diesen Entwicklungen und so eine wachsende ökonomische Ungleichheit auf der Welt ermöglicht haben. Nur wenn man diese Punkte offen anspricht, kann man Populisten und die aus ihrem Lager gestreuten Falschmeldungen ihrer Wirkungskraft berauben. Das ist die Aufgabe vor der derzeit sowohl Medien als auch Politik stehen. Das Argumentieren gegen Fake News ist nur ein Stellvertreter-Krieg, der womöglich sogar vom eigentlichen Problem ablenkt und gesellschaftliche Gräben aufreißt, anstatt sie zuzuschütten.

Wie sollte es denn konkret aussehen, wenn Medien dieses Weltbild „ernst nehmen“?

Journalisten sollten sich damit auseinandersetzen, was die Wähler der AfD, die Befürworter von Pegida, die Leser der Epoch Times umtreibt. Damit meine ich nicht, dass rechtsextreme, Minderheiten diskriminierende Gedanken aufgegriffen werden sollten. Denen sollte klar widersprochen werden. Allerdings gibt es ganz offensichtlich eine nicht mehr marginale Bevölkerungsgruppe in Deutschland – und vielen anderen Ländern – die befürchten, bei den Entwicklungen der Globalisierung auf der Strecke zu bleiben, wirtschaftlich und im gesellschaftlichen Leben abgehängt zu werden. Diese Position darf nicht ignoriert werden, sondern sollte in den gesellschaftlichen Diskurs integriert werden. Und hierzu können Medien ihren Beitrag leisten, indem sie dieser Position und ihren Sorgen Raum geben und kritisch hinterfragen, was Politik und Gesellschaft anders machen könnten, um diesen Sorgen Rechnung zu tragen.

Als letztes Mittel werden auch gesetzliche Regelungen gegen Fake News diskutiert. Sind solche Maßnahmen sinnvoll?

Gesetzliche Maßnahmen gegen Fake News sind ein Spiel mit dem Feuer. In Deutschland haben wir bereits umfangreiche gesetzliche Regelungen, die einzelne Personen vor Verleumdung und übler Nachrede schützen oder Volksverhetzung ahnden. Gesetzliche Regelungen zu erlassen, die das Verbreiten von Unwahrheiten generell untersagen, untergräbt die Meinungsfreiheit. Und die haben wir aus gutem Grund. Es ist in vielen Fällen legal, Dinge öffentlich zu behaupten, die nicht wahr sind. Denn Wahrheit ist Ansichtssache und liegt im Auge des Betrachters. Das zeigt die aktuelle Diskussion um Fake News und Lügenpresse wunderbar.

Wenn es eine solche gesetzliche Regelung gäbe, wäre immer die Frage: Wer legt fest, was die Wahrheit ist? Wenn wir, aus welchem Grund auch immer, erneut eine totalitäre Regierung wie das NS-Regime hätten, könnte ein Gesetz gegen Unwahrheiten fatale Folgen haben. Dann könnte eine solche Regierung beschließen, was sie für die Wahrheit hält, und alle bestrafen, die etwas anderes äußern. In ähnlicher Weise hat ja Donald Trump in letzter Zeit gefordert, etablierte Medien wie die Washington Post oder die New York Times mögen endlich aufhören, Lügen zu verbreiten, obwohl sie dies objektiv betrachtet in deutlich geringerem Umfang tun, als das ihm näher stehende Breitbart. Gäbe es in den USA ein solches Gesetz gegen die Verbreitung vermeintlicher Unwahrheiten, könnte Trump diesen Medienhäusern auf legalem Wege die Berichterstattung untersagen.

Deswegen müssen wir vor derartigen Gesetzen mehr Angst haben als vor Falschmeldungen. Denn in den falschen Händen bewirken sie genau das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigen. Sie könnten instrumentalisiert werden, um die Wahrheit zu bekämpfen, so dass im schlimmsten Fall am Ende nur noch Falschmeldungen und Propaganda übrig blieben.

Dr. Philipp Müller arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Dynamics of Society and Communication Research Group am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschung befasst sich mit der Produktion, Nutzung und Wirkung journalistischer Medieninhalte. Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bereich Medienwandel und Medieninnovationen. Aktuell geht er der Nutzung von Nachrichteninhalten über Soziale Netzwerke wie Facebook nach und untersucht die Rolle der Medien bei der Verbreitung populistischer Einstellungen in der Gesellschaft.


IMG_5695 (2) kleinNikolai Promies ist Absolvent des Studienganges Wissenschaft – Medien – Kommunikation am KIT in Karlsruhe.