Wissenschaftsjournalismus ist mehr als eine nette Ergänzung. Damit das auch so wahrgenommen wird, muss er raus aus der Komfortzone. Vorschläge, wie das gelingen kann, hat ALEXANDER MÄDER.

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Der Wissenschaftsjournalismus könnte ruhig etwas politischer werden, war auf der Tagung „WissensWerte“ in Magdeburg zu hören. Das ist nicht nur ein Appell, sich stärker um die vermeintlich trockene Forschungspolitik zu kümmern. Vielmehr haben einige Kollegen den Eindruck, der Wissenschaftsjournalismus sei nicht relevant genug, um bestehen zu können.

Solange es nur ums Staunen gehe – um Dinosaurier, Kometen und Nanoroboter in der Blutbahn – sei der Wissenschaftsjournalismus in der Medienwelt nicht mehr als eine nette Zugabe, so die Argumentation. Zwar durchaus erwünscht, aber im Notfall auch verzichtbar. Wenn das stimmt – und ich bin davon überzeugt –, dann ist es höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen.

Der Soziologe Harald Welzer hat in seinem Eröffnungsvortrag auf der „WissensWerte“ sogar eine Pflicht für Wissenschaftsjournalisten konstruiert, Fragen zu stellen, die über die wissenschaftlichen Resultate hinausgehen. In Beiträgen über die Klimaforschung reiche es zum Beispiel nicht aus, nur die Methoden und Ergebnisse darzustellen, selbst wenn der Journalist sie kritisch hinterfragen sollte.

Wer, wenn nicht wir Wissenschaftsjournalisten?

Wissenschaftsjournalisten müssten die gesellschaftliche Relevanz der Forschung herausarbeiten – wer sonst sollte das tun, wenn nicht sie? Welzer wartet noch auf den Wissenschaftsjournalisten, der nicht nur die mageren Ergebnisse der UN-Klimagipfel zusammenfasst und als unzureichend bewertet, sondern auch recherchiert, wie es besser gehen könnte.

Und worauf warten wir? Vielleicht fehlt uns noch eine Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll. Das macht schon Welzers Beispiel deutlich. Fordert er etwa, dass Wissenschaftsjournalisten auch Politikwissenschaftler zur UN-Diplomatie befragen? Wäre das nicht vielmehr ein Thema für die Kollegen aus dem Politikressort? Und überhaupt: wäre nicht schon viel gewonnen, wenn Wissenschaftsjournalisten mehr hinterfragen und bewerten würden, als nur zu referieren, was die Forschung herausgefunden hat? Diese Fragen lassen sich nicht abstrakt beantworten, wir müssen Erfahrungen sammeln.

Nicht mehr warten – Beispiele twittern! #wiss2jour

Ich möchte daher dazu aufrufen, einen relevanteren Wissenschaftsjournalismus auszuprobieren und über die Erfolge und Hindernisse in der Praxis zu berichten. Die Diskussion kann sofort beginnen: in den Kommentaren unter diesem Text und auf Twitter mit dem Hashtag #wiss2jour. Dort können alle Interessierten – egal, ob Journalisten, Pressesprecher oder Wissenschaftler – ihre Vorstellungen formulieren oder auf Beispiele für das verweisen, was ihnen wichtig ist. In einem Jahr könnte diese Diskussion in eine Session auf der „WissensWerte“ münden.

Ich möchte hier aber noch andeuten, warum ich glaube, dass es um mehr geht als nur einen kritischen Umgang mit Forschungsergebnissen. Ich möchte dazu eine These aufstellen, die zwar hart klingt und die Realität überhaupt nicht widerspiegelt, die aber als Ideal zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Die These hängt mit dem Gegenlesen zusammen, also der – meinem Eindruck nach: verbreiteten – Praxis, einen fertigen Text zur Faktenkontrolle an den Wissenschaftler oder seinen Sprecher zu schicken.

In Diskussionsrunden versichern viele Kollegen, dass sie diese Praxis als unjournalistisch ablehnen: Ein Politikredakteur lässt seine Beiträge ja auch nicht im Bundespresseamt abnehmen. Doch diese Haltung, die ich eigentlich teile, lässt einen wichtigen Punkt außen vor: Im journalistischen Alltag kommt man immer wieder in die Situation, in der man froh wäre, wenn jemand über den Text schauen könnte, weil man sich nicht gut genug auskennt und weil es in der Wissenschaft darauf ankommt, dass auch die Details stimmen.

Wir sind Experten für Publikumsrelevanz

Für dieses Problem gibt es eine einfache Lösung, die zugleich den Wissenschaftsjournalismus relevanter machen würde: Wissenschaftsjournalisten berichten nur über Dinge, die sie selbst verstehen, so dass sich die Frage des Gegenlesens erübrigt. Alles andere überlassen sie den PR-Leuten der Wissenschaft. Hinter dieser These steckt der Gedanke, dass gerade die Beiträge am ehesten verzichtbar sind, bei denen sich der Autor fachlich unsicher ist, weil er nur die komplizierten wissenschaftlichen Inhalte zu verstehen versucht und sich nicht um die Wissenschaftler und ihre Motive kümmert.

Die Aufgabe, Forschungsergebnisse verständlich darzustellen, könnte man aus meiner Sicht an die Pressestellen übertragen, die das ohnehin gut machen. Mit der These hebe ich eine Kompetenz von Wissenschaftsjournalisten hervor, die manchmal in den Hintergrund gerät: Wir sind Experten für das, was unser Publikum wichtig findet. Wenn wir ein Thema auswählen und einen Wissenschaftler stellvertretend für das Publikum interviewen, üben wir diese Kompetenz aus – und brauchen dazu keinen wissenschaftlichen Faktencheck, sondern einen Redakteurskollegen, der den Beitrag in Auftrag gibt und anschließend redigiert.

Wie gesagt: das ist alles hypothetisch. In Wirklichkeit wissen Journalisten recht wenig über ihr Publikum. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass viele Zeitungsleser eine Wissenschaftsseite zum Staunen interessant finden und es begrüßen würden, wenn die Texte fachlich gegengelesen werden. Ich bin daher nicht sicher, dass sich ein relevanter Wissenschaftsjournalismus ohne weiteres mit einem auf Allgemeinbildung ausgerichteten kombinieren lässt. Ich bin auch nicht sicher, dass Journalisten für ihre relevanten Geschichten immer gute Gesprächspartner in der Wissenschaft finden werden.

Schließlich ist zu erwarten, dass es in diesen Geschichten stärker um persönliche Einschätzungen geht und seltener um vermeintlich definitive Studienergebnisse. Aber über diesen Zweifeln steht die Überzeugung, dass ein politischerer Wissenschaftsjournalismus nötig ist und auf Interesse stoßen wird. Packen wir’s an!


Mäder2_Alexander CroppedDer Autor Alexander Mäder ist Wissenschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung.