„Das deutsche Gesundheitswesen ist eines der besten der Welt“, dieses Statement hört man immer wieder – von Politikern, Ärzten, manchmal auch von Journalisten. Doch wer sich aufmacht, um die echte oder vermeintliche Qualität konkreter Leistungen zu untersuchen, der verirrt sich sehr schnell in einem Dschungel aus widersprüchlichen Zahlen, Fakten und Einschätzungen. Diese Erfahrung machte zumindest Volker Stollorz, der uns in dem Artikel „Datenfriedhöfe in der Medizin“ an seiner bemerkenswerten Recherche zum Thema Lebertransplantationen teilhaben lässt. Die vermeintlich einfache Fragestellung: Welche qualitativen Unterschiede gibt es zwischen verschiedenen Transplantationszentren in Deutschland? Wie unterscheiden sich zum Beispiel die Sterblichkeit im Krankenhaus und die Überlebensrate ein Jahr nach Transplantation? Was ursprünglich eine Fingerübung in Sachen Datenjournalismus werden sollte, führt am Ende zu einer erschreckenden Erkenntnis: „Das System der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen setzt in weiten Teilen auf Intransparenz“, schreibt Stollorz. Der Artikel zeigt nicht nur die Schwachstellen der Qualitätskontrolle im Medizinbetrieb auf, er verdeutlicht auch die Grenzen unserer neuen Wunderwaffe: Datenjournalismus kann die Qualität der Berichterstattung steigern. Er kann spannende Geschichten zu Tage fördern und überraschende Zusammenhänge aufzeigen. Doch er ist nur so gut wie die Grundlagen, mit denen er arbeitet: die Daten. Und da gibt es noch viel zu verbessern – nicht nur im Gesundheitswesen.
Auch in anderen Artikeln dieser Ausgabe geht es um Qualität. Wir fragen nach den Bedingungen unserer Arbeit und nach den Chancen, Qualität im Wissenschaftsjournalismus zu erkennen, zu bewerten und zu steigern. Am Dortmunder Institut für Wissenschaftsjournalismus bekommt der Medien- Doktor eine kleine Schwester: Der Medien-Doktor Umwelt ging im Mai an den Start. Ähnlich wie beim Medizinjournalismus mischen sich in der Umweltberichterstattung wirtschaftliche Interessen, Meinung und Gesinnung mit Fakten und wissenschaftlicher Erkenntnis. Das Freund-Feind-Schema – hier die guten Umweltschützer, dort die böse Industrie – ist weit verbreitet. Doch anders als in der Medizin, wo die „evidence based medicine“ zumindest einen groben Kriterienkatalog zur Verfügung stellt, fehlte es dem Medien-Doktor Umwelt sowohl an internationalen Vorbildern als auch an etablierten Kriterien. In ihrem Text „Diagnosen zum Umweltjournalismus“ stellen Holger Wormer und Wiebke Rögener das Projekt vor.
Und noch einen weiteren Qualitäts-Check haben sich die Kollegen in Dortmund vorgenommen: Da immer mehr Pressestellen der Meinung sind, dass sie doch selbst die besseren Journalisten seien, will der „Medien-Doktor-PR-Watch“ künftig in einem Pilotprojekt Pressemeldungen bewerten. Zur Anwendung kommen dieselben Kriterien, die auch für journalistische Produkte gelten. Wir sind gespannt auf das Ergebnis!
In einem von der Robert-Bosch-Stiftung finanzierten Projekt der WPK haben Holger Hettwer und Franco Zotta die Bedingungen für ein deutsches Science Media Center untersucht. Die generelle Idee eines solchen Angebots: Vor allem in Krisenzeiten – wenn also Ehec oder Vogelgrippeviren die Verbraucher verunsichern, wenn ein Vulkan ausbricht oder ein Reaktor havariert – soll das Science Media Center Zugang zum Stand des Wissens und zu hochrangigen Experten garantieren. Was für die sogenannten Leitmedien in der Regel kein Problem darstellt, sieht für die Kolleginnen und Kollegen in Lokal- und Regionalmedien ganz anders aus. Vor allem dort könnte ein SMC die Qualität der Berichterstattung verbessern. In ihrem Artikel nehmen Hettwer und Zotta das erfolgreiche britische SMC unter die Lupe – und stufen es letztlich als Institut für Wissenschafts-PR ein. Genau das dürfe ein deutsches Science Media Center nicht sein, konstatieren die Autoren und definieren Kriterien für ein SMC, das sich tatsächlich an den Bedürfnissen der Journalisten orientiert. Wie ein solches Angebot aussehen und welche Rolle die WPK dabei spielen könnte, damit beschäftigt sich nicht nur der Artikel in dieser Ausgabe – natürlich wollen wir darüber auch mit unseren Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch kommen.
Im Quarterly finden Sie wie immer weitere spannende Geschichten und Analysen rund um den Wissenschaftsjournalismus.
Viel Spaß beim Lesen!
Claudia Ruby
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