Beim Thema Glyphosat gibt es offenbar nur zwei Optionen. Entweder man ist auf Seiten der Guten, der Umweltverbände. Dann ist das Pfanzenschutzmittel eine Bedrohung für Mensch und Tier. Wer diese Haltung aber hinterfragt, steht unter dem Einfluss der Industrie. Der Beitrag im aktuellen Spiegel verschärft diesen Eindruck. Ist das guter Wissenschafts-Journalismus? von EDDA GRABAR

blog logo Cropped(1)In dem Beitrag stehen viele richtige Dinge. Etwa, dass der Einsatz von Glyphosat in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Dass die international Agentur für Krebsforschung (IARC) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat, und dass das Bundesamt für Risikobewertung das etwas anders sieht. Und vor allem, dass fast immer nur Glyphosat als Einzelsubstanz geprüft wird, nicht aber die Mixturen, in denen es auf die Felder gespritzt wird – und das diese möglicherweise viel gefährlicher sind. Leider aber werden diese und andere wichtige Fragen erst im letzten Drittel des Beitrags grundlegend thematisiert. Ärgerlich ist vor allem, was in den ersten zwei Dritteln des Textes geschieht.

Es werden die Geschichten von zwei Bauern und einem Wissenschaftler geschildert. Das Vieh der Bauern ist krank. Die Betroffenen glauben, dass das Leid der Tiere auf Glyphosat im Futter zurückzuführen ist. Und da steht das Schicksal des Wissenschaftler Gilles-Éric Séralini, dessen spektakuläre Veröffentlichung über den Zusammenhang von Glyphosat und Krebserkrankungen in Ratten vor zwei Jahren zurückgezogen wurde. Weil ein ehemaliger Mitarbeiter der Pflanzenschutzmittelindustrie nun mit an Bord des Fachmagazins ist – legt der Artikel nahe.

Séralinis Arbeit stieß aber nicht nur in der Industrie, sondern auch im weitaus größten Teil der Fachgemeinde auf Kritik. Im Spiegel heißt es, Séralini sei vorgeworfen worden, die falschen und zu wenige Ratten eingesetzt zu haben. Nicht erklärt wird, warum das tatsächlich ein Problem darstellte. Zur Aufklärung: Séralini fütterte je zehn männliche und weibliche Ratten mit Futter, das verschiedene Dosierungen des glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln enthielt, und beobachtete die Tiere zwei Jahre lang. Nach etwa 18 Monaten aber neigen Laborratten dazu, auch ohne möglicherweise schadstoffhaltige Verfütterung an diversen Leiden (etwa Krebs) zu erkranken. Deswegen müssen für Versuche über einen längeren Zeitraum im Minimum doppelt so viele Ratten eingesetzt werden. Eine Zusammenfassung der Problematik ist im Nature News Beitrag von Barbara Casassus und im Nature News Beitrag von Declan Butler nachzulesen.

Die Geschichten der Bauern wiederum sind Anekdoten – Einzelfälle, für die ein Zusammenhang nicht belegt ist.  Warum aber wird ihnen dann ein derart großer Platz in dem Beitrag eingeräumt? Ist es noch seriös, ein Thema, dass zu vielen Befürchtungen in der Bevölkerung führt, fast ausschließlich auf solche Verdachtsfälle aufzubauen? Wäre es nicht sinnvoller, die Probleme des Nachweises zu diskutieren, wie es am Ende des Beitrags gerade ansatzweise geschieht?

Selbstverständlich sind Pflanzenschutzmittel schädlich. Und für jede Chemikalie stellt sich die Frage, wie schädlich die Substanzen für den Menschen sind, was mit den Nutztieren passiert und welche Auswirkungen diese Mittel auf die Umwelt haben. Aber was können Studien hier leisten? Und: Wie aussagekräftig sind denn Untersuchungen, die Glyphosat auf einzelne Zellen träufeln? Kann man nicht auch in einer kritischen Berichterstattungen auf große Unsicherheiten hinweisen?

Die IARC etwa selbst bewertet Glyphosat mit „wahrscheinlich krebserregend“ in seiner Pressemitteilung sehr viel vorsichtiger, als der Spiegel nahelegt. Es bestünde eingeschränkte Evidenz, dass Glyphosat krebserregend sei, heißt es da. „Eingeschränkte Evidenz bedeutet, dass es einen Zusammenhang zwischen Krebs und dem Pestizid gibt, man aber andere Ursachen nicht ausschließen kann“. Dort ist auch zu lesen, dass sich ein Teil der Studien auf die Auswirkungen von Glyphosat auf Tierversuche beziehen. Der Link zum Menschen basiert unter anderem auf einer Studie, die im Blut von Menschen, die sich in der Nähe von mit Glyphosat besprühten Feldern befanden, nach Markern für Chromosomenschäden suchte. Die Chromosomenschäden hätten zugenommen, heißt es bei der IARC.

Diese Schlussfolgerung wiederum hält Keith Solomon von der University of Guelph, der Autor der Studie, für falsch. Man hätte die Blutwerte von Menschen, die sich in der Nähe der Felder aufhielten, mit jenen in sicherer Entfernungen verglichen. Resultat: Es traten keine Unterschiede auf, sagt er. Das Interview steht nun aber in einem US-Agrarblatt, dem man wiederum Interessensberichterstattung unterstellen könnte. Zudem stand Solomon auf der Paylist der Agrarindustrie. Im Entscheidungskomitee der IARC saß allerdings auch Christopher J. Portier, ein bezahlter Aktivist der US-Nichtregierungsorganisation Environmental Defense Fund. Welche Interpretation ist jetzt also die korrekte?

Der Art wie Umweltorganisationen wie der BUND mit der Gefährdung durch Glyphosat umgehen, sind die Kollegen Martin Ballaschk und Kai Kupferschmidt nachgegangen und stellten fest: Die zitierten Studien waren unseriös oder sie ließen die Schlussfolgerungen des BUND gar nicht zu. So etwa die auch im Spiegel genannten Glyphosatnachweise im Urin von Menschen. Abgesehen davon, dass die ermittelten Werte, nach Ballaschk, um das 500-fache unter den Grenzwerten lagen, geht dieses Ergebnis für Deutschland auf zehn Studienteilnehmer zurück. Zehn Menschen stehen für die Gesamtheit der deutschen Großstädte. Diese waghalsige Schlussfolgerung hat sie auf die Liste der „Unstatistiken des Monats“ geführt.

Die Diskussionen um Glyphosat sind längst nicht abgeschlossen. Und es ist absolut richtig mehr Transparenz und vor allem Aufklärung über die Wirkung der versprühten Mixturen zu fordern Aber dazu gehört eben auch, gegensätzliche Studien abzuwägen. Im letzten Drittel des Beitrags werden spannende Fragen gestellt – ob das mit Glyphosat behandelte Tierfutter etwa einen Einfluss auf die Darmflora von Rindern hat. Wie aussagekräftig solche Untersuchungen sind, kann ich nicht beurteilen. Aber hätte der Beitrag das nicht liefern können? Im Spiegel steht, das Glyphosat das DDT des 21. Jahrhundert sein könnte. Es wäre aber auch möglich, dass die Geschichte endet wie jene über Impfungen, die angeblich Autismus verursachen: Keine Schäden belegbar.

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Edda GrabarEdda Grabar berichtet als Wissenschaftsjournalistin vor allem über die Themen Gesundheit, Pharmaindustrie und EU Gesundheitspolitik.