Seit sie nominiert wurde, fehlt das Wort „Forschung“ oft im Titel und in den Bildunterschriften: Anja Karliczek (CDU), seit dem gestrigen Dienstag offiziell neue Bildungs- (und Forschungs)ministerin, hat mit den maßgeblichen Themen ihres neuen Ressorts tatsächlich wenig bis keinerlei Erfahrung. Die 46-Jährige hat Bankkauf- und Hotelfachfrau gelernt und ein BWL-Fernstudium absolviert. Seit 2013 sitzt sie als direkt gewählte Abgeordnete aus Steinfurt (Münsterland) im Bundestag und war bisher vor allem mit Finanzthemen beschäftigt, etwa der Reform der Lebensversicherung oder dem Bund-Länder-Finanzausgleich. Bei ihrer Nominierung am 25. Februar lobte Angela Merkel weniger eine exzellente Kennerin der Szene denn die Disziplin Karliczeks, die als Mutter dreier Kinder große Erfahrung in der Hotelbranche verfügt und trotz großer Belastung einen zusätzlichen Studienabschluss managte.

Abgesehen von ihren ureigenen biografischen Bezügen in Sachen Bildung hat sich Karliczek bisher nicht als Politikerin in Sachen Wissenschaft profiliert, anders als noch ihre Vorgängerin Johanna Wanka, die als Mathematikerin und ehemalige Hochschulpräsidentin ganz anders agieren konnte – auch wenn ihr gegen Ende die große Unterstützung fehlte. Die Diplomarbeit Karliczeks an der Fernuni Hagen wird als „steuerliche Vorteilhaftigkeitsanalyse zur Auslagerung von Pensionsverpflichtungen aus Arbeitgebersicht“ auf ihrer offiziellen Internetseite erwähnt.

In ersten Interviews stellte Karliczek ihr (noch) fehlendes Know-how in Sachen Forschungspolitik zunächst als Chance dar: „Ich kann so lange fragen, fragen, fragen und mir so einen Überblick verschaffen. Und dadurch das Thema Forschung in die Breite tragen“, erklärte sie mit einem scheuen Lächeln.

BMBF gering geschätzt

Fragen wird sie viel und oft müssen, denn der großen Aufgaben gibt es viele (Digitalpakt, Schaffung eines Nationalen Bildungsrates, Hochschulpakt, Ausbau Ganztagsschulen,…) und mit einem Etat von fast 18 Milliarden Euro ist ihr Haus auch kein kleines. Verteilung- und Machtkämpfe mit einzelnen Bundesländern sind vorprogrammiert und die Gefahr, dass Karliczek durch die Akteure des akademischen Sektors nicht ernst genommen wird, ist nicht zu leugnen. Kritikern gilt sie bereits jetzt als reine Quotenfrau, denn eine MinsterIN und dann auch eine aus NRW, eine solche habe Merkel noch gefehlt. Mit der Personalie offenbare die CDU, wie gering sie das Bildungsministerium schätze, hieß es etwa in der ZEIT.

Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE Anfang des Monats äußerte sich Karliczek denn auch vorsichtiger als noch direkt nach ihrer Nominierung. Fragen zu ihrem privaten (Bildungs-)weg waren erlaubt, Fragen, die ihre künftige Arbeit als Bildungsministerin betreffen, blieben „ausgeklammert“. Diese wolle sie erst beantworten, wenn sie sich eingearbeitet habe, heißt es bei SPON. Wer lesen möchte, was die neue Bildungsministerin privat umtreibt, kann das also hier tun.

Quotenfrau oder Chance fürs Ministerium?

Bei SPON äußerten Schüler ihre Erwartungen an Karliczek. Das Science Media Center Germany hat die Nominierung der CDU-Politikerin zum Anlass genommen, die Präsidenten der großen Forschungsorganisationen und Akademien in Deutschland zu fragen, welche wichtigen Hürden die Politik, ergo Anja Kaliczek, in den kommenden Jahren meistern muss.

„Die Präsidenten begrüßen die Absichten des Koalitionsvertrags, zum Beispiel die Ausgaben für die Forschung weiter zu erhöhen oder Sprunginnovationen zu fördern, unterstreichen die Rolle der Wissenschaft, zu wichtigen, gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel, Energiewende oder Digitalisierung Lösungsvorschläge beizutragen und ermahnen die Politik, die akademische Freiheit zu achten sowie die Grundlagenforschung und die Grundfinanzierung der Hochschulen nicht zu vernachlässigen, so habe die Bedeutung der Drittmittelforschung zum Beispiel zu sehr zugenommen.“

(Zusammengefasst, alle Statements gibt es am Ende dieses Stücks).

Was denkt ihr über die Ernenneung Anja Karlizceks? Kann sie aus ihrer eigenen Bildungs-Biographie genug Energie für die nötigen Reformen ziehen? Wird sie die Staatssekretäre Cornelia Quennet-Thielen und Georg Schütte in ihrem Amt belassen? Kehrt irgendwann das schöne Wörtchen „Forschung“ wieder in die Ministeriums-Beschreibung zurück – oder wird sie als unerfahrene Quotenfrau aus dem Münsterland scheitern?

Kommentiert hier oder schreibt uns unter: wpk@wpk.org

Von: Nicola Kuhrt

—————-

Die folgenden Statements stellte das Science Media Center Germany für die journalistische Berichterstattung zur Verfügung.

 

Übersicht

Prof. Dr. Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, München

Prof. Dr. Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Bonn

Prof. Dr. Otmar D. Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Berlin

Prof. Dr. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, München

Prof. Dr. Hans-Christian Pape, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, Bonn

Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Halle (Saale)

Prof. Dr. Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Bonn

Prof. Dr. Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Berlin

Statements

Prof. Dr. Martin Stratmann,
Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, München

„Deutschland steht international hervorragend da. Doch die Konkurrenz schläft nicht – deshalb ist es gut, dass der Koalitionsvertrag Kurs hält und auch neue Impulse setzt. So will die GroKo ganz gezielt Sprunginnovationen fördern. Wichtig ist, dass dies strukturell richtig gemacht wird. Da lohnt ein Blick in die USA, wo solche disruptiven, auf das ganz Neue setzenden Innovationen sehr wirkungsvoll umgesetzt werden. Das dortige Pendant der auch in Deutschland nötigen Agentur für Sprunginnovationen hat maßgeblich das Internet entwickelt und die Kommerzialisierung des Positionsbestimmungssystems GPS ermöglicht. Voraussetzung für diesen Erfolg: Autonomie, Verzicht auf politische Steuerung, Rekrutierung herausragender Programmmanager, und: eine Kultur, die Scheitern gestattet und damit die Voraussetzung schafft für den eigentlichen Erfolg. Die Politik muss den Mut haben, diese Freiräume zuzulassen. Es wird sich bezahlt machen für den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland.“

Prof. Dr. Horst Hippler,
Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Bonn

„Die unterschiedlich verteilten Kompetenzen von Ländern und Bund für Hochschulen und außerhochschulische Forschungseinrichtungen hat zu einer sehr unterschiedlichen Finanzentwicklung geführt, insbesondere seitdem der Pakt für Forschung und Innovation den Außeruniversitären einen steten Aufwuchs ihrer Grundmittel sichert. Eine adäquate Lösung für die Hochschulen ist überfällig. Deren Grundmittel müssen mit dem starken Anstieg der Drittmittel wieder Schritt halten. Der Bedarf ist immens, weil der Nachholbedarf etwa bei den digitalen Infrastrukturen in den vergangenen Jahren stetig aufgelaufen ist.“

„Über eine angemessene Programm-Pauschale für Forschungsprojekte ließe sich Einiges erreichen. Sie soll aber laut Koalitionsvertrag zunächst bei 22 Prozent bleiben. Das ist deutlich zu wenig und verschärft mit jeder erfolgreichen Drittmitteleinwerbung die Finanzsituation der Hochschule – eine schizophrene Situation. Wir brauchen eine entschiedene Förderung unseres Wissenschaftssystems, in dem die Hochschulen als kraftvolle Organisationszentren fungieren. Im Koalitionsvertrag finden sich viele richtige Stichworte und Absichten – ob die Entschlossenheit für die dringend nötige Trendwende und ein sinnvoll geschnürtes Gesamtpaket reicht, muss sich jetzt sehr schnell nach der Entscheidung über die Koalition zeigen.“

Prof. Dr. Otmar D. Wiestler,
Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Berlin

„Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist aus unserer Sicht die Forschungspolitik als wichtiges Zukunftsthema sehr gut abgebildet. Forschung nimmt hier zur Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen eine zentrale Rolle ein – etwa bei den Themen Klimawandel, Mobilität von morgen, Energiewende oder beim Kampf gegen die großen Volkskrankheiten wie Krebs oder Demenz. Dass sich dabei das Thema Digitalisierung deutlich sichtbar durch das Papier zieht, ist wichtig und richtig; ebenso das Bekenntnis zu einem geeinten und gestärkten Europa. All diese Weichenstellungen werden entscheidend dazu beitragen, noch mehr Spitzenforscher und hochtalentierten Nachwuchs aus dem Ausland zu gewinnen. Das wird in den kommenden Jahren eine der entscheidenden Herausforderungen für den Standort Deutschland. Wichtig wird es nun allerdings sein, die vielen Vorhaben in den kommenden Jahren konkret umzusetzen.“

Prof. Dr. Reimund Neugebauer
Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, München

„Aus Sicht der Fraunhofer-Gesellschaft ist es erfreulich, dass Wissenschaft und Forschung eine umfassende Beachtung im Koalitionsvertrag erhalten haben. Alle drei Parteien bekennen sich zur Förderung von Innovationen. Mit der Digitalisierung, Mobilität, Klima und Energie, Sicherheit und Gesundheit sind die wichtigsten und drängendsten Forschungsbereiche benannt. Die Parteien stellen sich der Herausforderung, den Anteil von F&E-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf mindestens 3,5 Prozent bis zum Jahr 2025 zu erhöhen. Die Verlängerung des Paktes für Forschung und Innovation sowie die Einführung einer steuerlichen F&E-Förderung für kleine und mittelgroße Unternehmen, die auch Investitionen in Auftragsforschung berücksichtigt und zusätzlich zur Projektförderung gewährt wird, sind die richtigen Instrumente in Richtung des 3,5 Prozent-Ziels. Die Förderung von Sprunginnovationen wird als neues Instrument gleich mehrfach angekündigt. Auch für den Ausruf einer Technologie-Transfer-Initiative in die Wirtschaft gebührt der Politik ein ausdrückliches Lob. Im Haushalt sind für die genannten Punkte aber nur rund 2 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren reserviert. Hier werden sicherlich zusätzliche Mittel benötigt, um die angekündigten Punkte mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu verwirklichen. Wir vertrauen darauf, dass Wissenschaft und Forschung sowie Innovationen weiterhin ein zentrales Anliegen der Bundesregierung bleiben.“

Prof. Dr. Hans-Christian Pape,
Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, Bonn

„Das klare Bekenntnis zur Internationalisierung der Hochschulen und zur Gewinnung von Spitzenforschern setzt die richtigen Akzente. Das gleiche gilt für die Fortführung des Paktes für Forschung und Innovation und das 3,5-Prozent-Ziel für Investitionen in Forschung und Entwicklung. Entscheidend wird sein, welche Einzelmaßnahmen umgesetzt werden und dass die Grundfinanzierung steigt – und zwar verlässlich. Hiervon muss auch der Hochschulbau profitieren.“

„Deutlicher hätte ich mir strategische Anreize zur Identifizierung und Rekrutierung wissenschaftlicher Talente auf internationaler Ebene sowie deren Integration in das deutsche Wissenschaftssystem gewünscht. Dass die Karrierewege für den wissenschaftlichen Nachwuchs strukturell verbessert wurden, war der vielleicht wichtigste Durchbruch der vergangenen Jahre. Hieran müssen wir anknüpfen und noch mehr Talenten Chancen bieten. International werden wir hierdurch wettbewerbsfähiger.“

Prof. Dr. Jörg Hacker,
Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Halle (Saale)

„Weltweit vollzieht sich gerade in den Biowissenschaften und der medizinischen Forschung eine rasante Entwicklung. Im Koalitionsvertrag wird unter anderem eine verstärkte Gesundheitsforschung auch im globalen Kontext angestrebt. Die Biowissenschaften können einen großen Beitrag leisten, neue Technologien zur Veränderung des Erbgutes haben beispielsweise das Potential, auch schwere Krankheiten zu heilen. Von der Grundlagenforschung zur Therapie ist es jedoch ein langer Weg, der einen bestimmten gesetzlichen Rahmen braucht. Der im Koalitionsvertrag beschriebene Passus „Von der Biologie zur Innovation“ stellt eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung der biomedizinischen Forschung dar. Wichtig ist, dass sich diese Entwicklung technologieoffen vollzieht.“

Prof. Dr. Peter Strohschneider,
Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Bonn

„Damit Deutschland auch in Zukunft in den Bereichen Forschung und Umsetzung eine gewichtige Rolle in der Welt spielt, muss das deutsche Wissenschaftssystem zukunftsfest gemacht werden. Dafür lässt sich gut an dem breiten politischen Konsens über die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung und in vielen Einzelfragen ihrer Weiterentwicklung ansetzen. In dieser Legislaturperiode wird für die Wissenschafts- und Forschungspolitik und –politiker das besonders wichtig werden, was die DFG in den vergangenen Jahren immer wieder in den Fokus gerückt hat: ein systematischer Blick auf die Finanzierungsströme im Wissenschaftssystem. Die Unwuchten zwischen der Grund- und der Drittmittelfinanzierung müssen ebenso wieder deutlich besser ausbalanciert werden wie die in der Finanzierung von Universitäten und Hochschulen einerseits und außeruniversitären Einrichtungen andererseits. Nicht weniger wichtig ist die nachdrückliche Unterstützung der politischen Akteure für eine Hochschulforschung, die in der Wahl ihrer Themen und Methoden in ihrer ganzen Breite frei ist.“

Prof. Dr. Matthias Kleiner,
Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Berlin

„Eine der wichtigsten Aufgaben der Forschungspolitik in den nächsten Jahren ist es, das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft aktiv zu gestalten: partizipativ, dialogorientiert und differenziert – so können vielfältige Zielgruppen in der Breite der Gesellschaft besser und nachhaltiger erreicht werden und die Wissenschaft mit ihren Methoden und Leistungen, aber auch ihren Grenzen vermittelt und diskutiert werden. Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft mit ihrem Dreiklang aus Sammlung, Forschung und Ausstellung können hier einen bedeutenden Beitrag leisten. Dies wird im Koalitionsvertrag ausdrücklich festgestellt.“

„Kooperative und interdisziplinäre Forschung sollte weiter ausgebaut werden, denn sie ist bei nahezu allen großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie etwa der Digitalisierung, dem globalen Wandel, der alternden Gesellschaft oder der Entwicklung neuer Hochleistungstechnologien das Fundament für übergreifende innovative Lösungsbeiträge.“

„Die gesellschaftlich relevante Forschung und damit die Zukunftsfähigkeit Deutschlands erfordert eine nachhaltige und ausgewogene Finanzarchitektur zur Förderung aller Bereiche der Wissenschaft: Bildung, Lehre und Forschung. Für die außeruniversitäre Forschung ist dabei die im Koalitionsvertrag vereinbarte Fortsetzung des Pakts für Forschung und Innovation essentiell.“