So schlimm der Ebola-Ausbruch in Westafrika auch ist – Forscher sollten neue oder sich weiter ausbreitende Infektionskrankheiten nicht vergessen: So lautet der Appell in einer Fachzeitschrift. Gilt dieser Aufruf auch für die Medien? Ein Pro von FRANZISKA BADENSCHIER und ein Contra von KATHRIN ZINKANT.

PRO: Wir sollten öfter über neu auftretende Infektionskrankheiten berichten

Es ist schon ein paar Tage her, da las ich in einem Paper, das gerade im Lancet Respiratory Medicine erschienen war, den folgenden Satz: „The intense political and media attention on Ebola for the past 5 months has overshadowed attention on other threats of ongoing global infectious diseases.“ Ich bemerkte, wie ich, alleine vor dem Rechner sitzend, nickte. Stimmt, dachte ich mir, denn fast täglich lese ich in Fach-Newslettern, Tweets und Co., dass schon wieder neue Fälle von MERS, Chikungunya und Co. aufgetreten sind – nur in den deutschen Medien (zumindest in jenen, die ich verfolge) erfahre ich nichts davon.

Die Autoren des Papers demonstrieren ihre Kritik am Beispiel des MERS-Coronavirus‘, das „im Schatten von Ebola“ stehe. Im Juni 2012 infizierte sich in Saudi-Arabien ein Mensch mit einem unbekannten Erreger, bekam eine schwere Atemwegserkrankung und starb dann in Großbritannien. Bald darauf wurde das neue Virus identifiziert: ein Betacorona-Virus, ein Verwandter des SARS-Erregers; es bekam schließlich den Namen MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Corona Virus). Seitdem haben Labore rund 1000 Fälle bestätigt; mehr als jeder dritte Kranke ist gestorben. Mehrere Forschungsgruppen beschäftigen sich mit dem neu aufgetauchten Virus, aber im vergangenen Jahr haben manche von ihnen die Forschung zurückgefahren – um sich dem Ebola-Virus und dem größten Ebola-Ausbruch der Geschichte zu widmen.

Am Ende ihres Papers fordern die Autoren: „In addition to the existing appropriate global priority focus on the Ebola virus disease, we need to ensure that MERS-CoV is not forgotten.“ Sie zielen damit vor allem auf die Scientific Community und die Weltgesundheitsorganisation WHO ab. Aber dieser Aufruf sollte auch für uns (Wissenschafts-)Journalisten gelten. Und zwar nicht nur hinsichtlich MERS, sondern auch für die klassischen Vernachlässigten Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases) und für die sogenannten neu auftretenden Infektionskrankheiten (Emerging Infectious Diseases). Nur ein aktuelles Beispiel: Chikungunya.

Chikungunya ist eine Krankheit, die ähnliche Symptome hat wie das Dengue-Fieber und unter anderem auch von der Dengue-Mücke übertragen wird; es gibt keine Impfung und keine Therapie; Ärzte können nur versuchen, die Symptome zu lindern. Bislang kam Chikungunya nur in Afrika, Asien und auf dem indischen Subkontinent vor, hin und wieder auch in Südeuropa. Aber im Dezember 2013 wurden zwei Fälle von Chikungunya auf dem französischen Teil der Insel St. Martin in der Karibik bestätigt – keine eingeschleppten Fälle, sprich: Das war der erste Ausbruch auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Besser gesagt: ist. Denn mittlerweile – innerhalb von 14 Monaten – haben sich mehr als 1,2 Millionen Menschen in Lateinamerika mit Chikungunya-Virus infiziert, mindestens 176 sind bislang gestorben, so die Pan American Health Organisation PAHO.

Warum sind MERS und Chikungunya kaum bis gar kein Thema in deutschen Medien? (Zumindest gefühlt, denn – zugegeben – ich habe jetzt keine Inhaltsanalyse der deutschen Medien durchgeführt, sondern nur kurz Genios Pressedatenbank und Google Trends befragt). Mir fallen einige Fragen und Aspekte ein, die wohl den einen oder anderen Bericht wert wären. Doch ich fürchte, so manches Medium würde die Themenvorschläge ausschlagen. Und ich befürchte, die Begründungen wären so ähnlich, wie ich sie in letzter Zeit mehrfach bekommen habe, wenn ich Typhus, das Kopfnick-Syndrom und andere Themen von meiner Recherchereise durch Afrika im vergangenen Jahr vorgeschlagen habe: Man habe mit Ebola schon mehr als genug Medizin aus Afrika im Programm. (Finden das eigentlich die Leser, Hörer, Zuschauer auch?) Oder liegt es (auch) daran, dass – falls sich jemand im Urlaub Chikungunya oder MERS einfängt und nach Deutschland zurückkommt – es im Prinzip eher unwahrscheinlich (für MERS) bis unmöglich (für Chikungunya) ist, dass sich andere hierzulande anstecken? Schafft es Ebola vor allem deswegen in die Medien, weil es von Mensch zu Mensch übertragen wird und eine so hohe Sterblichkeitsrate hat und (unnötige) Panik erzeugt (hat)?

Längst wollte ich meine Themenideen zu Chikungunya, MERS und Co. ein paar Redaktionen vorgeschlagen haben. Allein: Es fehlt mir die Zeit. Weil ich selbst seit geraumer Zeit fast nur noch über Ebola berichte. Um daran etwas zu ändern, bin ich in der Zwischenzeit nach Hamburg gefahren– zu einem internationalen Symposium über neu auftretende und wiederkehrende Infektionskrankheiten. Immerhin: Ein paar wenige (wissenschafts-)journalistische Kollegen waren tatsächlich da, wenn auch nur kurz.

 

Contra: Was Forscher wollen, ist nicht unser Auftrag.

Warum dieses Thema? Warum gerade jetzt und auf diese Weise? Die meisten Journalisten kennen diese Frage. Und wenn sie einfach zu beantworten wäre, dann wäre das mit der Auswahl von Themen nicht so schwierig. Vor allem, wenn man sich dabei auch auf die Aussage von Experten verlassen könnte.

Es ist aber in Wahrheit schwer, die Relevanz eines Themas ins Verhältnis zu setzen, und die Perspektive von Forschern darf man sich dabei nicht zu Eigen machen. Journalisten müssen sich auf ihre eigene Einschätzung verlassen können. Infektionskrankheiten sind ein gutes Beispiel. Ebola hat ja eine Art Schock im Selbstverständnis verursacht, weil im Grunde kein Wissenschaftsjournalist glaubte, dass aus diesem Aufflackern des Virus in Westafrika jemals etwas Größeres werden würde. Nicht eine solch dramatische Epidemie, die zeitweise wirklich aussah, als werde sie völlig außer Kontrolle geraten. Und die jetzt wieder sehr wenig Beachtung erfährt, weil sie eben doch unter Kontrolle zu sein scheint.

So. Und nun sitzt der Zweifel tief. In dieser Zeit, nach Monaten der späten Berichterstattung über einen tödlichen, extrem ansteckenden Erreger: Passiert so ein Fehler womöglich wieder? Übersehen wir Warnsignale? Was ist denn mit dem MERS-CoV, Dengue, der Pest, Zika? Was ist mit H7N9 in China? Was, wenn das ominöse Alkhurma-Virus wieder auftaucht, mit einem Infizierten aus Saudi-Arabien nach Südamerika reist, dort mutiert und sich ausbreitet – und keiner reagiert rechtzeitig, weil sich die Welt zu sehr um Ebola gekümmert hat? Ist ein totes Kind in Berlin wirklich wichtiger als all die toten Masernkinder sonstwo auf der Welt? Und was ist, zum Beispiel, mit Chikungunya?

Es gibt immer Wissenschaftler, die ihr eigenes Forschungsfeld nicht ausreichend beachtet finden. Und auf den ersten Blick erscheint Chikungunya gewiss gefährlich, gerade nach den Erfahrungen mit Ebola: Das Virus löst, wie Ebola, ein hämorraghisches Fieber aus, es gibt noch keine Therapie und keine Impfung. 1, 2 Millionen haben sich mutmaßlich (!) angesteckt und es sind auch schon Menschen gestorben. Ja, Wahnsinn, warum berichtet denn dann kaum jemand über diese Krankheit?

Weil Chikungunya eine Krankheit bleibt, die zwar häufig ist und sich über Mücken immer weiter ausbreitet, aber – wenn überhaupt – extrem selten tödlich verläuft und in der Regel auch keine bleibenden Schäden hinterlässt. Die Infizierten erkranken, bekommen Fieber und große Schmerzen, aber dann ist Chikungunya für diese Menschen Geschichte. Es gibt zudem nicht 1,2 Millionen bestätigte Erkrankungen. Sondern rund 28.000, was viel ist, aber definitiv eine andere Größenordnung. Und im schlimmsten Fall leiden die Patienten noch lange unter Gelenkschmerzen, was ernst ist und auch wirtschaftliche Folgen hat. Und selbstverständlich ist ein Bericht über dieses Virus auch nicht verkehrt.

Trotzdem bleibt Chikungunya etwas anderes als Ebola oder als selbst die Grippe. Und angesichts der Vielfalt an Krankheiten, die auf diesem Planeten ihr Unwesen treiben, muss man sich als Journalist entscheiden. Mehr als MERS-CoV – ein gefährliches Virus, das aber nicht von Mensch zu Mensch übertragen wird und vor allem als neuer Erreger Interesse weckt – beschäftigt manchen von uns vielleicht diese Frage: Ist es wirklich an der Zeit, die Berichterstattung über Ebola einzustellen – weil die dystopischen Projektionen von Millionen Kranken und Toten nicht wahr geworden sind? Und weil es doch so viele andere Krankheiten gibt?

Ich denke: nein. Ebola ist beispiellos. Andere Krankheiten sind deshalb nicht unwichtig; sie bleiben einen Bericht wert, wenn sie entsprechend eingeordnet werden. Aber so, wie viele große Ereignisse einen Schatten werfen, der andere Themen dann journalistisch überdeckt, so ist das auch für Ebola der Fall. Aus guten Gründen.

(Sicher nicht hilfreich: Was die WELT an diesem Montag mit dem Thema Chikungunya anfing. „Behörden schlagen Alarm wegen tödlichem Virus“ als Überschrift über einem Agenturschnipsel. Einordnung? Fehlanzeige!)

 


Franziska BadenschierFranziska Badenschier ist freie Wissenschaftsjournalistin für Radio und Online. Sie berichtet vor allem über Vernachlässigte (Tropen-)Krankheiten, Medizin in strukturschwachen Ländern, Public Health und Global Health, momentan vor allem über Ebola.

 

 

Kathrin ZinkantKathrin Zinkant hat Biochemie studiert und schrieb für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Zeit Online. Seit August 2014 ist sie Redakteurin im Wissen-Ressort der Süddeutschen Zeitung.