Im Februar grübelten Theoretiker und Praktiker auf Einladung der Kavli Foundation über die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus. Herausgekommen sind interessante Empfehlungen. VON VOLKER STOLLORZ

Auf dem 1. Kavli Science Symposium diskutierten Wissenschaftsjournalisten aus aller Welt, wie sich die Zukunft der Branche gestalten lässt. (Foto: CC BY 2.0: Simon Cunningham/flickr)

Auf dem 1. Kavli Science Symposium diskutierten Wissenschaftsjournalisten aus aller Welt, wie sich die Zukunft der Branche gestalten lässt. (Foto: CC BY 2.0: Simon Cunningham/flickr)

Es war im Juni 2009, als die Wissenschaftszeitschrift „Nature” die Frage aufwarf, ob der Wissenschaftsjournalismus noch eine Zukunftsperspektive habe [1]. Die Zeiten waren damals schon hart, und sie sind es noch immer. Wissenschaftler, Wissenschaftskommunikatoren, Interessengruppen und Blogger sind dabei, das journalistische Monopol zu schleifen.

Fünf Jahre später, auf dem 1. Kavli-Symposium in Chicago, nahm sich eine internationale Gruppe von 50 renommierten Wissenschaftsjournalisten, Experten und einige Beobachter verschiedener Stiftungen diese Frage vor, um eigene Ideen für die “Zukunft des Wissenschaftsjournalismus” zu entwickeln.

Eines der Hauptziele des Symposiums war es, Anworten zu sammeln, wie die Profession ihre eigene Zukunft kreativer gestalten könnte. Diskutiert wurde in vier Arbeitsgruppen zudem, welche konkreten Initiativen zur Verbesserung der Situation von Wissenschaftsjournalisten die Zunft selber planen und ergreifen könnte, anstatt Trübsal zu blasen in Zeiten, in denen überall “neue Werkhallen des Allroundjournalismus” entstehen.  Die Antworten der vier Arbeitsgruppen sind in Empfehlungen ausführlich niedergelegt, an deren Entstehen ich mitwirken durfte. Die Lektüre lohnt sich.

Alle Teilnehmer des internationalen Workshops waren sich darin einig, dass sich der Wissenschaftsjournalismus stärker als bisher den digitalen Technologien als Recherchewerkzeug zum Auffinden und der Aufarbeitung von Themen und Expertisen widmen sollte, unternehmerischer denken müsse und sich international enger verzahnen sollte bei bestimmten Recherchen. Auch das Bewusstsein der entscheidenden wissenschaftsjournalistischen Werte und Kernkompetenzen gilt es nicht nur wachzuhalten, sondern offensiver zu vertreten innerhalb und auch außerhalb der eigenen Profession.

Welchen Unterschied guter Wissenschaftsjournalismus machen kann, kann man derzeit an der Berichterstattung über die Ebola-Epidemie erkennen. Der Weltverband der Wissenschaftsjournalisten hat kürzlich zu Recht auf die entscheidende Rolle von Wissenschaftsjournalisten für eine kompetente Berichterstattung über Ebola hingewiesen.

Empfehlungen der AG „New Tools“

Die Arbeitsgruppe “New Tools” untersuchte, wie Wissenschaftsjournalisten künftig einen intelligenteren Nutzen aus Big-Data und digitalen Technologien ziehen könnten bei der Suche nach Themen und Experten und welche Kooperationen dazu sinnvoll wären. Unter den konkreten Empfehlungen kam die Idee auf, eine Suchmaschine zu entwickeln, bei der Algorithmen die wissenschaftliche Literatur und Webseiten von wissenschaftlichen Instituten systematischer analysieren, um vernachlässigte oder schwer zu findende Geschichten und Trends in der Wissenschaft aufzuspüren. Nachgedacht wurde zudem über ein “University Web-Tracking Tool”, mit dem sich jüngere “Rising Stars” in wissenschaftlichen Disziplinen aufspüren lassen, die bisher nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen.

Eine weitere ambitionierte Idee war die Kreation eines “Science-Journalism Journey Trackers.” In Zusammenarbeit mit Journalismusforschern könnte ein experimenteller Web-browser mit Eye-Tracking-Tools entwickelt werden, um zu ergründen, wie thematisch erfahrene Wissenschaftsjournalisten bei Recherchen agieren, wo, wie und in welcher Tiefe verschiedene Wissenschaftsjournalisten Geschichten angehen und wo und wie sie nach Experten und Literatur im Netz oder in Datenbanksuchen suchen. Anhand dieser Erfahrungen könnte eine Social Web Software später einmal “live” Recherchepfade in einer Art “Tracker-App” teilen, um in Echtzeit das Rechercheverhalten von Nutzern abzubilden. So könnten etwa junge Journalisten lernen, den Suchstrategien erfahrener Kollegen zu folgen, erfahrene Kollegen wiederum könnten ausgetretene Pfade der Recherche anderer verlassen, um neue Wege einzuschlagen und so “Echo-Chambers”-Effekte zu vermeiden.

Eine weitere Empfehlung war das Desiderat der Entwicklung von Werkzeugen, mit denen sich Geschichten für verschiedene Medienplattformen (Web, Tablets, Mobil) leichter optimieren lassen. Der Weltverband könnte hier helfen, die besten verfügbaren Tools international verfügbar zu machen, z.B. Werkzeuge zum Sammeln und Analysieren großer Datenmengen oder bereits entwickelte Tools für “Citizen-Science”-Projekte, bei denen Wissenschaftler, Medien zusammen mit Bürgern Wissen erzeugen könnten.

Empfehlungen der AG Geschäftsmodelle

Das Team ‘Geschäftsmodelle’ empfahl die Erarbeitung eines “Working Documents” mit “Best-Practise” Beispielen, wobei Fallstudien mit erfolgreichen Erfahrungen ebenso dokumentiert werden sollten wie “Lessons Learned” aus Fehlschlägen. Eine solche Sammlung online oder offline könnte helfen, eine internationale Ressource über “Business Tools” für Projekte und Publikationen im Bereich Wissenschaftsjournalismus zu schaffen.

Erstellt werden könnte schließlich eine Art “Field Guide” für wissenschaftsjournalistische Verleger/Unternehmer, die Start-Ups im Bereich Wissenschaftsjournalismus planen [2]. Das Team schlug zudem vor, sich für die Gründung eines “Start-Up” Incubator einzusetzen, in dem Förderer, Berater und unternehmerisch denkende Wissenschaftsjournalisten Projekte entwickeln und voranbringen könnten.

Empfehlungen der AG Internationale Kooperationen

Das dritte Team “Internationale Kooperation” beschäftige sich in Chicago vor allem mit dem Thema “Cross-Border” Wissenschaftsjournalismus. Empfohlen wurde ein internationales “Peer-to-Peer Network”, indem Wissenschaftsjournalisten aus verschiedenen Ländern kooperieren, um gemeinsam globale Geschichten zu recherchieren, mögliche erste Themen wären potentiell pandemische Infektionserkrankungen wie Ebola oder MERS, der transnationale Organhandel, multizentrische klinische Studien in Entwicklungs- und Schwellenländern, oder regionale Folgen des Klimawandels in unterschiedlichen Klimazonen. Das Netzwerk könnte von der WFSJ über Listserv oder ein Forum etabliert werden.

Ebenfalls empfohlen wurde ein Austausch-Programm, bei dem Wissenschaftsjournalisten eine Zeit lang in einer Redaktion eines anderen Landes hospitieren, um “Cross-Border”-Projekte wahrscheinlicher zu machen. Zum Beispiel könnte ein Journalist den Newsroom eines Kollegen kennenlernen, der dann in den Newsrooms des anderen Landes einladen würde. Bei dieser Gelegenheit könnten die Partner jeweils an Geschichten recherchieren, die die eigene Redaktion interessieren.

Es gab eine Reihe weiterer Empfehlungen der dritten Gruppe, etwa in Bezug auf das Teilen von Informationen über Ländergrenzen und Weltregionen hinweg. Erkannt wurde zudem der dringende Bedarf nach Stipendien, rechtliche Beratung sowie Fortbildungskursen (online und on-Campus) in ressourcenarmen Ländern, um den dortigen Wissenschaftsjournalismus zu stützen oder erst zu entwickeln.

Empfehlungen der AG Definition des Wissenschaftsjournalismus

Eine vierte Gruppe versuchte das dicke Brett der “Definitionen des Wissenschaftsjournalismus” zu bohren, sich über Ziele, Methoden und die Zukunftsaussichten der Profession Klarheit zu verschaffen [3]. Ausgangspunkt der Debatte waren eine Reihe zentraler wissenschaftsjournalistischer Werte (etwa Verifikation, Transparenz, Verwendung von Evidenz) und Kernkompetenzen (zum Beispiel Vertrautheit mit dem Wissenschaftssystem, Bewertung und kluge Verwendung von Experten und Expertisen der Wissenschaft, verständliche Präsentation wissenschaftlicher Informationen), die zu gutem Wissenschaftsjournalismus führen.

Bei allen Wertedebatten dürfe zudem nicht aus dem Auge verloren werden, dass Journalisten Geschichten erzählen müssten, die fesselnde und unterhaltende Elemente enthalten um das Interesse auch wissenschaftsferner Publika wecken zu können. Die Gruppe empfahl ein “Wiki-Style”-Dokument zu erstellen, indem die sich entwickelnden Definitionen des Wissenschaftsjournalismus in regionaler und historischer Perspektive versammelt werden und auch Verschiebungen des Werte- und Kompetenzkanons im Zeitalter der neuen digitalen und sozialen Medien [4].

Die Gruppe verständigte sich zudem darauf, dass es Aufgabe der Profession selber sei, das Bewusstsein ihrer Werte und der Kernkompetenzen zu erhalten bzw. zu schaffen. Eine weitere Empfehlung war die nach einer unabhängigen Begutachtung der Arbeit der “Science Media Centers” (SMCs) inklusive einer Bewertung ihres Einflusses auf den Wissenschaftsjournalismus.

Welche Zukunft haben die Empfehlungen?

Das 1. Kavli-Symposium war ein Experiment, wollte Inkubator sein für frische Ideen, die grenzüberschreitend die Evolution des Wissenschaftsjournalismus vorantreiben könnten. Eine der Hoffnungen war, eine kritische Masse an engagierten Wissenschaftsjournalisten, Experten und Stiftungen auf gemeinsame Ziele einzuschwören, damit der Wissenschaftsjournalismus international eine Zukunft hat.

So entstand eine Menge Enthusiasmus, aber auch die Erkenntnis, die massiven Veränderungen in der digitalen Kommunikation innerhalb der Wissenschaften, beim wissenschaftlichen Publikationswesen sowie in den neuen Medienlandschaften nicht nur zu erdulden, sondern als Profession eigene Impulse setzen zu wollen, z.B. im Bereich “Tool-Entwicklung”, in der internationalen Zusammenarbeit sowie bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen für Wissenschaftsjournalismus in einer verwirrenden Welt, in der widerstreitende Ansichten sowie eine Flut erfundener, gefälschter oder schwindlerischer Informationen zirkuliert, die selbst sicheres Wissen für unsere Publika unsichtbar machen können.

Der Wissenschaftsjournalismus als das spezialisierte System der systematischen Beobachtung der Wissenschaften kann einer Vermüllung öffentlicher Kommunikationsräume in besonderer Weise entgegentreten, indem er als Vertrauens/Misstrauens-Vermittler agiert. Unsere Profession könnte durch mehr Kooperation nicht nur die eigene Zukunft sichern, sondern diese selbst aktiver mitgestalten. Die ersten Ergebnisse des Symposiums sollen im Februar 2015 in San José auf einem “2. Kavli-Symposium on the Future of Science Journalism” zu Projekten werden. Ideen aus Deutschland für die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus sind willkommen: Stollorz@googlemail.com.

Quellen:

[1] Cheerleader or watchdog, Nature editorial, volume 459, No 7250, page 1033, 25th June 2009

[2] Zwei Projekte mit Erfahrungen, die auf dem 1. Kavli-Symposium vorgestellt wurden, waren https://medium.com/matter sowie http://insideclimatenews.org

[3] David Secko et al.: „Four Models of Science Journalism“, Journalism Practise, Vol.7, No 1, 2013, 62-80: http://www.csjp.ca/wordpress/wp-content/uploads/2011/11/Seckoetal_JourPrac2013-2.pdf 

[4] Public Communication of Web 2.0. Is the communication of science via the new media online a genuine transformation or old wine in new bottles?: EMBO Reports, Volume 15, Issue 7, pages 749–753, July 2014


Volker StollorzDer Autor Volker Stollorz ist Diplom-Biologe. Seit 1991 ist er Wissenschaftsjournalist, derzeit arbeitet er für überregionale Zeitungen und Magazine, Hörfunk und Fernsehen.