Georg Dahm und Denis Dilba riskieren etwas: Kredite, Eigenkapital, ein Investor und Crowdfunding bringen das Wissenschaftsmagazin Substanz an den Start. Ein Interview zu ihrem Konzept. VON HINNERK FELDWISCH-DRENTRUP

Die Gründer von Substanz: Georg Dahm und Denis Dilba (Foto: Helen Fischer)

Die Gründer von Substanz: Georg Dahm und Denis Dilba (Foto: Helen Fischer)

Der deutsche Wissenschaftsjournalismus ist ja eigentlich recht gut aufgestellt. Womit wollen Sie Ihre zukünftigen Kunden ab dem 28. November 2014 ködern – was ist die Nische für Substanz?

Dahm: Wir haben die Erfahrung gemacht, die uns von Testlesern immer wieder bestätigt wird: Man ist einfach total überlastet. Die abonnierten Zeitungen stapeln sich ungelesen auf dem Couch-Tisch, der Facebook-Stream, RSS-Feeds und Spiegel-Online wollen gelesen werden. Wir gehen da eher chirurgisch rein mit einem sehr spezialisierten scharfen Angebot und sagen: Jeden Freitag kommt eine große Geschichte. Du musst Dir nur einmal die Woche richtig Zeit nehmen – aber das macht dann auch richtig Spaß und lohnt sich so.

Was haben Sie konkret im Angebot, was etwa Zeit oder Geo nicht bieten?

Dahm: Von der Optik her gestalten wir jede der großen Magazingeschichten individuell – nicht wie bei den klassischen Webseiten, die ja in der Regel ein Schablonen-Layout haben. Wir legen auch viel Wert auf einen personenorientierten, lebendigen und reportagigen Wissenschaftsjournalismus. Wir wollen starke Protagonisten, die uns in die Geschichte reinziehen und uns mit ihrer Begeisterung für ihr Themenfeld auch so ein bisschen anstecken. Wir erlauben uns außerdem mehr Experimente auf sprachlicher Ebene – wir können ein bisschen rotziger, ein bisschen dreckiger sein.

Ist Epos vom Springer-Verlag ein Konkurrent für Sie?

Dahm: Epos macht ein sehr üppiges Layout, da passiert ja richtig viel. Die arbeiten unfassbar viel mit Videos und bewegten Hintergründen – das ist ein wahnsinniger Aufwand, der dahinter steckt. Das ist nicht unser Ziel. Bei uns gibt die Geschichte vor, wie das Layout sein soll.

Dilba: Bei uns gibt es keine alles-über-Windkraft-Themen, die wir dann hübsch machen, sondern wir wollen das Prozess-orientierte, um einen authentischen Blick auf die Wissenschaft zu geben. Wir zeigen Trial and Error wie Wissenschaft funktioniert. Wir wollen einen Wissenschaftler dazu bekommen, dass er uns erzählt, wie er mit Fehlern umgeht. Da spielen dann oft auch forschungspolitische Aspekte mit rein.

Ein ähnliches Konzept – auch mit Crowdfunding – hat ja der Namensvetter Matter verfolgt, das sich aber am Ende wohl finanziell nicht getragen hat und von Medium übernommen wurde.

Dahm: Matter hat fast schon Ebooks gemacht, nur sehr sehr spartanisch dekoriert. Die haben sich auch insofern reduziert, dass sie nur eine Geschichte pro Monat gemacht haben, die im Verkauf 99 Cent gekostet hat. Bei uns wird es ein lebendigeres Layout geben, von dem wir glauben, dass es dem Medium Digital angemessener ist.

Kommen wir zum Finanziellen. Zunächst auf der Ausgabenseite: Wie viele Mitarbeiter haben Sie im Moment?

Dahm: Wir beide sind die beiden einzigen Angestellten unserer GmbH. Kernteam sind so ungefähr 17 Leute – wenn man die zusammenzählt, die ständig dabei sind. Wir haben drei Pauschalisten auf Redaktionsebene, ein zweiköpfiges CVD-Team, eine dreiköpfige freie Bildreaktion, eine Artdirektorin, drei Entwickler, einen Webdesigner, einen technischen Projektleiter, einen Illustrator und eine Kollegin, die uns organisatorisch und in der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Dazu kommen von Geschichte zu Geschichte freie Mitarbeiter. Wir haben jetzt noch nicht die Möglichkeit gehabt, feste Stellen einzurichten – das wird sich hoffentlich im nächsten Jahr ändern.

Wie vergüten Sie die freien Autoren? 

Dahm: Wir haben als Hausnummer einen Tagessatz von 250 Euro. Teil des Briefing-Gespräches am Anfang ist immer die Frage, wie viele Arbeitstage du für diese Geschichte brauchst. Bisher ist es so, dass wir bei den meisten Autoren auf ungefähr fünf Tage gekommen sind.

Und wie ist Ihr Einnahmen-Mix? 

Dahm: Den Finanzierungsbedarf decken wir über Gründerkredite, Eigenkapitel, über einen Privatinvestor und über die Crowdfunding-Kampagne, in absteigender Reihenfolge des numerischen Werts. Der Plan ist, dass wir innerhalb von zwei Jahren durch die Abo- und Einzelverkäufe profitabel werden. Das ist der Kern des Geschäfts. Und durch ein bisschen – ich sage ganz bewusst ein bisschen – Zusatzgeschäfte durch Anzeigen.

Wer sind Ihre Wunsch-Anzeigenkunden?

Dahm: Im Prinzip jedes Unternehmen, jede Institution, die findet, dass ihre Geschichten in einem Umfeld von Wissenschaft und Technik gut aufgehoben sind – und da fallen mir eine ganze Menge ein.

Eine Option wären ja auch Hochschulen oder Wissenschaftsorganisationen.

Dahm: Ganz genau. Das ist ja inzwischen ein Riesenmarkt, dieses internationale Geschäft mit Masterstudiengängen und Aufbaustudiengängen. Das ist genau unsere Zielgruppe.

Kommen da nicht Interessenkonflikte auf?

Dilba: Als Journalist hat man sich von den Interessen der Anzeigenkunden nicht beeinflussen zu lassen. Das sehen wir als unsere heiligste Aufgabe als Verleger – die Leute, die für uns schreiben, vor Begehrlichkeiten und Einflussnahmeversuchen von Anzeigenkunden zu schützen.

Könnten Sie sich Sponsored Content vorstellen? 

Dahm: Wir sind keine Freunde von Sponsored Content oder Native Advertising oder all diesen Euphemismen für Schleichwerbung – da kriegen wir Gänsehaut. Wir sind aber natürlich für Zusatzgeschäfte offen. Wir können uns vorstellen, irgendwann Corporate Publishing zu machen. Aber das würde nie die redaktionelle Unabhängigkeit tangieren.

Wollen Sie das organisatorisch trennen – oder wären es dieselben Autoren, die für beides schreiben?

Dahm: Es wäre natürlich kritisch, wenn ein Autor, der etwas für einen Corporate-Publishing-Kunden schreibt, im regulären Magazin dann auch über ihn schreiben würde. Aber auch das ist ja ohnehin eine Grundregel: Ich schreibe nicht journalistisch über Firmen oder Institutionen, für die ich auch PR mache.

Welche Rolle haben die 30.000 Euro aus dem Crowdfunding für Sie gespielt?

Dahm: Das Crowdfunding-Geld haben wir nach der Konzeptionsphase gebraucht, um die konkrete Entwicklung stemmen zu können. Also die technische Entwicklung, die Rechercheinhalte und die ganzen Recherchereisen, auch um unsere Lebenshaltungskosten auf niedrigem Niveau zu decken. Dass der ganze Laden eben läuft.

Aber der Eigenanteil und die Kredite sind dann nochmal deutlich höher, oder?

Dahm: Sagen wir es mal so: Das Thema Eigenheim ist für uns durch, das wird nichts mehr werden.

Wie sieht Ihr Geschäftsmodell in Bezug auf Verkäufe aus?

Dahm: Das Monatsabo wird neun Euro kosten und die großen Magazingeschichten, von denen wir eine pro Woche machen, kosten im Einzelverkauf drei Euro. Die kürzeren Geschichten werden wir im Cent-Bereich betreiben – da tarieren wir im internen Beta-Test die Preisgestaltung aus. Wir wollen ein Zeichen setzen dafür, dass alles auf dieser Seite Qualitätsjournalismus ist. Dann muss eben auch der Leser dafür bezahlen.

Sind die drei Euro pro Geschichte nicht etwas happig, wenn man für gut fünf Euro ganze Ausgaben von anderen Magazinen bekommt?

Dahm: Das ist eine andere Art, Preise zu denken im Journalismus. Das klassische Printprodukt muss ja schon aus physikalischen Gründen, damit wir es anfassen können, eine bestimmte Seitenzahl haben. Ob der Leser dann wirklich für diese fünf Euro alles liest, ist ja nochmal eine andere Frage.

Wieviele Abo-Leser brauchen Sie langfristig, um profitabel zu werden?

Dahm: Unser Businessplan beruht auf Worst-Case-Annahmen. Da steht drin, dass wir – um profitabel zu werden – eine Leserzahl im mittleren bis oberen vierstelligen Bereich brauchen.


Feldwisch-Drentrup_hinnerk CroppedDie Fragen stellte Hinnerk Feldwisch-Drentrup. Hinnerk Feldwisch-Drentrup ist freier Wissenschaftsjournalist und lebt in Karlsruhe.