Dürfen sich Journalisten von Gesprächspartnern zum Essen eingeladen lassen? Viele Verlage haben dafür klare Regeln. Quarterly hat mit vier Wissenschaftsredakteuren darüber gesprochen, wie sich journalistische Unabhängigkeit bewahren lässt. VON CHRISTIAN EßER

(Photo credit: CC BY NC ND 2.0: Dominik Meissner/flickr.com)

(Photo credit: CC BY NC ND 2.0: Dominik Meissner/flickr.com)

Compliance, wo man hinschaut: Nimmt ein Patient die Medikamente nicht ein, wie der Arzt es ihm vorgeschrieben hat, sprechen Mediziner von einer schlechten Compliance-Rate. Nimmt ein Arzt Geld von einer Pharmafirma an und verschreibt vor allem Medikamente dieser Firma, hat die Compliance innerhalb der Ärzteschaft versagt. Berichtet ein Medizinjournalist über die Vorzüge eines Wirkstoffs und verschweigt die Nebenwirkungen, weil er vom Hersteller zu einer Luxusreise eingeladen wurde, hat er sich nicht an die Compliance seines Medienhauses gehalten. Komplikation mit der Compliance: In allen drei Fällen geht es um die Nichteinhaltung eines bestimmten Regelwerks, um Fehlverhalten – im Fall des Mediziners und des Journalisten geht es um Bestechlichkeit. „Der deutsche Journalist braucht nicht bestochen zu werden, er ist so stolz, eingeladen zu sein, ein paar Schmeicheleien… Er ist schon zufrieden, wie eine Macht behandelt zu werden“, hat Kurt Tucholsky einmal ganz ohne Ironie geschrieben. Heute wissen wir es besser. Fast jede Woche tauchen Berichte über Autojournalisten auf, die mit besonderen Zuwendungen gefügig gemacht wurden oder über Wirtschaftsjournalisten, die sich zu First Class und Luxussuite einladen ließen.

Compliance [engl. „Zustimmung“, „Einhaltung“, aber auch: „Konformität“und „Unterwürfigkeit“]

Man darf annehmen, dass Wissenschaftsjournalisten generell weniger in Versuchung kommen sollten als beispielsweise Politik-, Wirtschafts-, Reise- und Motorjournalisten, persönlich von einer einvernehmlichen Berichterstattung zu profitieren. Dennoch: Schwarze Schafe gibt es überall und die Grauzone ist groß. Darum haben viele Verlags- und Medienhäuser – verstärkt in den letzten Jahren – eigene Compliance-Richtlinien erstellt. So genannte „Code of Conducts“ (CoC), Verhaltenskodizes, geben den Mitarbeitern Anhaltspunkte, wie das hauseigene verantwortungsvolle Handeln zu verstehen ist. In einigen Verlagen gibt es sogar spezielle CoC-Beauftragte, die über Transparenzregeln wachen und bei möglichen
unmoralischen Angeboten von außen Einschätzungen liefern.

Denn wo und ab wann Befangenheit beginnt, ist oft gar nicht so klar. Sind Presserabatte schon zu viel des Guten? Darf ich mich am Rande einer Konferenz von einem Gesprächspartner zum Getränk einladen lassen? Sollte ich es in irgendeiner Weise transparent machen, wenn ich Rechercheergebnisse auf einer Reise erzielt habe, die teilweise von einem Unternehmen gesponsert wurde? Wir haben Redaktionsleiter von  Wissenschaftsressorts und -sendungen um ein wenig Transparenz gebeten und sie gefragt, wie ihre Redaktion mit dem Thema Compliance umgeht.

Carsten Könneker ist Chefredakteur von Spektrum der Wissenschaft und Gehirn und Geist.

Carsten Könneker
ist Chefredakteur
von Spektrum der
Wissenschaft und
Gehirn und Geist.

Andreas Sentker ist Ressortleiter Wissen DIE ZEIT und Herausgeber des Magazins ZEIT Wissen.

Andreas Sentker ist Ressortleiter Wissen DIE ZEIT und Herausgeber des Magazins ZEIT Wissen.

Christoph Koch ist seit 2002 Ressortleiter Stern Wissenschaft, Medizin und Technik.

Christoph Koch
ist seit 2002
Ressortleiter Stern
Wissenschaft, Medizin
und Technik.

Christiane Götz-Sobel ist Leiterin der Redaktion Naturwissenschaft und Technik im ZDF.

Christiane Götz-Sobel
ist Leiterin der
Redaktion Naturwissenschaft
und
Technik im ZDF.

 

 

 

 









Gibt es in Ihrer Redaktion ein schriftliches Regelwerk, das den Umgang mit Zuwendungen von Interview- und sonstigen Gesprächspartnern regelt (Compliance-Regeln, Code of Conduct o.ä.)?

Götz-Sobel: Ja, es gibt Compliance-Regeln (schriftliches Regelwerk).

Koch: Selbstverständlich. Den Gruner + Jahr CoC und redaktionelle Richtlinien.

Könneker: Der Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Teil der Nature Publishing Group mit Sitz in London und unterliegt damit dem UK Bribary Act, einem der wohl härtesten Antikorruptionsgesetze weltweit. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also auch alle Redakteurinnen und Redakteure, mussten 2011 eine Online-Schulung zum Thema Korruptionsvermeidung machen und 2012 einen allgemeiner gehaltenen Kurs zum Thema Compliance. Der entsprechende „Code of Conduct“ von Macmillan ist im Internet hinterlegt.

Sentker: Es gibt einen Code of Ethics, der die redaktionelle Unabhängigkeit der ZEIT ebenso sicherstellen soll, wie die journalistische Qualität des Blattes.

Kommt es vor, dass Recherchereisen extern finanziert werden? Gibt es sonstige finanzielle Unterstützung von außen?

Götz-Sobel: In meiner Redaktion werden weder Recherchereisen von Dritten finanziert, noch gibt es finanzielle Unterstützung von Dritten für Programme. Grundsätzlich gelten die in den Compliance-Regeln formulierten Rahmenbedingungen.

Koch: Nein, bisher hat sich die Frage mangels Mangel für uns gar nicht gestellt, erlaubt ist es auch nicht.

Könneker: Einzelne Redakteure haben in der Vergangenheit an Journalistenreisen teilgenommen, organisiert etwa von EuroNatur, an deren Ende journalistische Artikel über Naturschutzprobleme auf dem Balkan oder in Spanien standen. Finanziert wurden diese Reisen über die Lufthansa-Umweltstiftung. Wir haben auch schon Beiträge von freien Journalisten publiziert, welche bei ihren Recherchen von einem Recherchestipendium profitierten. Die finanzielle Unterstützung von Autoren durch ein Recherchestipendium machen wir transparent für unsere Leserinnen und Leser. Angebote der Übernahme von Reise- oder Unterbringungskosten etwa aus der industriellen Forschung lehnen wir grundsätzlich ab.

Sentker: Es kommt nur in absoluten Ausnahmefällen vor, dass Reisen oder Teile von Reisen finanziert werden. Eine weitere finanzielle Unterstützung gibt es nicht.

Wenn ja: Machen Sie dies dem Leser/ Hörer/Zuschauer gegenüber transparent?

Könneker: s. Bsp. oben

Sentker: Wir lassen uns nur sehr selten und sehr ungern einladen. Ausnahmen müssen gut begründet sein. Etwa dadurch, dass eine Einladung Zugänge eröffnet, die wir selbst nicht organisieren könnten. Unsere  besondere Konkurrenzsituation als Wochenzeitung auf einem Markt mit vielen aktuellen Anbietern macht Pressereisen gemeinsam mit aktuell schreibenden oder sendenden Kollegen ohnehin wenig attraktiv. Werden wir eingeladen, machen wir das transparent. Fahren wir der Inhalte wegen bei einer vorbereiteten Pressereise mit, übernehmen wir in der Regel die ausweisbaren Kosten für Flüge oder Unterkünfte.

Würden Sie einen Unterschied machen, ob die Recherchereise von beispielsweise Bayer oder der Max-Planck-Gesellschaft finanziert wird?

Götz-Sobel: Nein, s.o.

Koch: Nein.

Könneker: Ja. Eine bezahlte Recherchereise eines Industrieunternehmens ist ein Tabu. Im Fall einer Recherchereise auf Einladung der Max-Planck-Gesellschaft würden wir den Einzelfall prüfen.

Sentker: Tatsächlich betrachten wir die Einladung durch ein Industrieunternehmen noch deutlich kritischer als die Einladung etwa durch eine gemeinnützige Stiftung. Aber auch Forschungsorganisationen wie die MPG oder Ministerien wie das BMBF verfolgen mit ihrer Pressearbeit eigennützige Ziele. Sie liegen in diesem Spektrum möglicher Interessenskonflikte oder Risiken für die Unabhängigkeit der Berichterstattung vermutlich eher im Mittelfeld.

Welchen Zuwendungswert würden Sie als kritisch betrachten? Was gilt in Ihrer Redaktion als unbedenklich?

Götz-Sobel: s.o.

Koch: Zuwendung an Einzelne? Ich toleriere Kleinstgeschenke, die langjährige Bekannte einander aus eigenem Antrieb machen, z.B. eine Blume.

Könneker: Unsere Redakteure sind angewiesen, keine Zuwendungen im Zusammenhang mit der Erstellung von Beiträgen anzunehmen. Unabhängig davon sind gemäß laut unserer Compliance-Regeln Geschenke oder Kostenübernahmen ab einem Gegenwert von 75 Britischen Pfund zwingend registrierpflichtig. Je nachdem betrachten wir aber auch deutlich geringere Gegenwerte als kritisch. Es kommt darauf an, um welche Art der Zuwendung es konkret geht. Wenn etwa ein Forscher seine Buchneuerscheinung einem Redakteur in die Hand drückt, sehen wir das unkritisch – selbstverständlich bedeutet die Annahme des Buches keinesfalls, dass die Redaktion eine Rezension machen wird! Und natürlich behalten wir uns auch in solchen Fällen Verrisse vor, sofern die Bücher bei näherer Betrachtung nichts taugen.

Alle Beiträge des Dossiers "Sponsoring des Journalismus"

Alle Beiträge des Dossiers „Sponsoring des Journalismus“

Sentker: Zuwendungen an Redakteure, etwa Geschenke, werden ab einer Größenordnung von 40 Euro gesammelt und für gemeinnützige Zwecke versteigert.

Darf man sich von einem Informanten zum Abendessen / Getränk einladen lassen?

Götz-Sobel: In Ausnahmefällen ja, ggf. Genehmigung erforderlich (s. Compliance-Regeln).

Koch: Zum „Abendessen“ allenfalls in seltenen Ausnahmefällen, wenn es recherchetaktisch unbestreitbare Vorteile bringt und vom Vorgesetzten geprüft wurde. Besser, man lädt selber ein. Gefragt wurde explizit nach „Informanten“, nicht nach Organisationen. Bayer oder die MPG sind keine „Informanten“. „Informanten“ sind Personen, zu denen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden muss. Ihnen gegenüber sind recherchetaktische Flexibilitäten nach Einzelfallprüfung denkbar. Ein einzelnes Getränk oder etwas Selbstgekochtes abzulehnen könnte hingegen auf einen Fanatismus hindeuten, der mit der für diesen Beruf unerlässlichen Horizontweite und Alltagsweisheit nicht zu vereinbaren ist. Besser, man lädt selber ein.

Könneker: Dieser Fall tritt bei uns allein aus Zeitgründen kaum auf. Gelegentlich kommt es vor, dass ein Redakteur mit einem interviewten Wissenschaftler nach dem Interview noch kurz gemeinsam zu Mittag isst, falls die Rückreise des Redakteurs dies zulässt. Dann zahlt jedoch entweder der Redakteur die gemeinsame Zeche und reicht sie hinterher ein, oder jeder zahlt sein Essen selbst.

Sentker: Wir möchten etwas wissen – wir laden ein.

Nutzt Ihre Redaktion Presserabatte?

Götz-Sobel: Nein. Ob Einzelne den Presseausweis an anderer Stelle nutzen, ist nicht bekannt.

Koch: Nein. Die Rabatte, die wir nutzen, sind Großkundenrabatte, weil wir ein Großunternehmen sind. Presserabatte i.e.S. sind wohl eher für einzelne Journalisten als Individuen gedacht, denen man dringend raten, aber nicht befehlen kann, Zurückhaltung zu üben.

Könneker: Als Redaktion nutzen wir keine Presserabatte. Ob einzelne Redakteure die Vorteile ihres Presseausweises privat nutzen, ist nicht erhoben.

Sentker: Wir empfehlen Redakteurinnen und Redakteuren der ZEIT dringend, keine Journalistenrabatte in Anspruch zu nehmen. Auch von der privaten, außerdienstlichen Nutzung von Journalistenrabatten wird abgeraten. Insbesondere ist es nicht gestattet, bei privater Beantragung von Journalistenrabatten auf die ZEIT als Arbeitgeber zu verweisen.

Wie groß ist die Lücke zwischen Unabhängigkeitsanspruch und Realität im Redaktionsalltag?

Götz-Sobel: Unabhängigkeit ist ein wichtiger journalistischer Grundsatz. Die Rahmenbedingungen sind durch ein enges Regelwerk gesetzt. Auch ohne dies ist die erforderliche Sensibilität gegeben. In der Praxis zeigt es sich durch die Herangehensweise an die Themen, die unabhängig und sachorientiert erfolgt.

Koch: Ich habe nicht den Eindruck, dass die angesprochenen materiellen Incentives dabei eine Rolle spielen.

Könneker: Chefredakteure und Redaktionsleiter sind bei uns sensibilisiert dafür, mögliche Interessenkonflikte, die unsere redaktionelle Unabhängigkeit beeinträchtigen könnten, schon in der Themenplanungsphase offen anzusprechen und zu vermeiden. Wo dies nicht möglich ist, wird für unsere Leserinnen und Leser eindeutig nachvollziehbar darauf hingewiesen.

Sentker: Das bisher Beschriebene ist nicht Anspruch, sondern Realität.

Gelten diese Regeln gleichermaßen für feste und freie Mitarbeiter? Wie wird die Einhaltung kontrolliert?

Götz-Sobel: Regeln gelten für feste und freie Mitarbeiter gleichermaßen.

Koch: Es gibt keine Regeln, die „gleichermaßen“ für beide Gruppen gelten, weil sie aufgrund des Arbeitsrechtes fundamental verschieden sind. Wir können unseren Angestellten Weisungen erteilen, bei unseren Freien aber nur auf Vertragseinhaltung bestehen. De facto lassen wir keine Einladungen und Pressereisen der Freien zu, sondern finanzieren sie aus dem Etat. Generell gibt es für den CoC Beauftragte und Ombudsleute, so dass sich jeder  Mitarbeiter bei Verstößen gegen den CoC an eine unabhängige Stelle wenden kann.

Könneker: Unsere strengen Richtlinien zur redaktionellen Unabhängigkeit betreffen ausnahmslos alle Redaktionen des Verlags, also die festen Mitarbeiter – aber auch freie Mitarbeiter, die fallweise die Redaktion unterstützen. Durch die enge Zusammenarbeit innerhalb der Redaktionen ergibt sich automatisch eine gute Selbstkontrolle, da etwaige heikle Einladungen, angebotene Zuwendungen oder sonstige Interessenkonflikte offen und kritisch in der Redaktionskonferenz diskutiert werden. Das geschieht übrigens auch allein schon deshalb, weil unsere Leser höchst sensibel und kritisch in diesen Fragen sind. Einen etwaigen Fehltritt, gleich wie unabsichtlich er auch wäre, würden wir von ihnen um die Ohren geschmettert bekommen – und zwar völlig zu Recht! Unsere freien Autoren sind ebenfalls verpflichtet, mögliche Unterstützungen etwa durch  Recherchestipendien oder Crowd Funding klar zu benennen, damit wir dies unseren Lesern anzeigen können.

Sentker: Bei freien Mitarbeitern ist die Einhaltung solcher Regeln in der Realität nicht zu kontrollieren. Sie gelten aber nicht nur für Redakteurinnen und Redakteure, sondern für alle Autoren. Freie Mitarbeiter müssen zudem Tätigkeiten in den Journalismus nahen Bereichen – Marketing, PR – offen legen. Eine Tätigkeit in einem dieser Bereiche schließt in der Regel die redaktionelle Bearbeitung inhaltlich verwandter Themen bei ZEIT für den Zeitraum eines Jahres aus.

 


Christian EßerDie Fragen stellte Christian Eßer. Christian Eßer studierte Biologie und Germanistik und absolvierte den Zusatzstudiengang “Wissenschaftsjournalismus” in Berlin. Seit 2008 arbeitet er als freier Journalist und unterstützt die Geschäftsstelle der WPK.