Von großen Anstrengungen, kleinem Einfluss und dem Glauben an das große Potential – wie beeinflusst das Web2.0 die Wissenschaftskommunikation in Deutschland und den USA? Ein Interview mit der Sozialwissenschaftlerin Sharon Dunwoody VON MARKUS LEHMKUHL

(Photo credit: CC BY NC 2.0: Paul Shanks)

(Photo credit: CC BY NC 2.0: Paul Shanks/flickr)

Seit mehreren Jahrzehnten beobachtet und beforscht die US-amerikanische Sozialwissenschaftlerin Sharon Dunwoody den amerikanischen Wissenschaftsjournalismus und die amerikanische Wissenschafts-PR. In einem aktuellen Projekt geht sie gemeinsam mit Hans Peter Peters und Joachim Allgaier vom Forschungszentrum Jülich der Frage nach, inwieweit das Web 2.0 Einfluss gewinnt auf die Wissenschaftskommunikation. Das meta-Magazin sprach mit ihr über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Deutschland und den USA.

meta: Wenn man die deutsche Landschaft überschaut, dann gewinnt man den Eindruck, die Wissenschaftskommunikatoren hätten das Web 2.0 für sich entdeckt, sind aber noch nicht sicher, wofür diese Entdeckung nützlich sein soll. Wie ist das in den USA?

Sharon Dunwoody: Mein Eindruck ist sehr ähnlich. Leute, die in institutionellen Kontexten Wissenschaftskommunikation betreiben, haben die neuen Technologien bereitwillig und begeistert aufgenommen. Sie twittern, sie bloggen, sie verbreiten Informationen über Facebook. Alle haben mittlerweile Facebook-Seiten, so dass Sie ein Freund werden können einer Forschungsorganisation, was ja an sich eine irgendwie merkwürdige Idee ist. Wer will schon Freund sein von einer Organisation? Es scheint mir, dass alle, die hier aktiv sind, die Überzeugung teilen, dies sei nützlich. Allerdings glaube ich nicht, dass viele dieser Anbieter analysiert haben, wer diesen Angeboten aus welchem Grund Aufmerksamkeit schenkt.

In den Vereinigten Staaten gibt es nach wir vor die Überzeugung, man könne dadurch demonstrieren, dass man möglichst oft genannt wird. Bezogen auf die traditionellen Medien war und ist es üblich, den Erfolg danach zu bemessen, wie häufig eine Universität oder eine Forschungsinstitution in Massenmedien erwähnt, wie häufig Pressemitteilungen aufgegriffen werden. Bezogen auf die neuen Medien wird das fortgesetzt durch das Zählen von Followern, Freunden und so weiter. Allerdings sind diese Informationen gänzlich ungeeignet, um tatsächlich etwas zu erfahren, weil man zum Beispiel den Kontext nicht kennt, in den eine Erwähnung eingebettet ist.

Was ist denn die treibende Kraft hinter den Anstrengungen der professionellen Wissenschaftskommunikation bezogen speziell auf die social-media-tools?
Es gibt eine überstürzte Eile, diese tools zu nutzen. Und die wird ganz besonders getrieben davon, dass man die alten Medien für einen sterbenden Zweig hält. Also muss man diese neuen Dinge anpacken, um sein eigenes Business am Leben zu halten. Diese Haltung wird natürlich auch bestärkt durch den Austausch in sozialen Netzwerken. Ich war kürzlich auf einem Meeting von Pressesprechern diverser Wissenschaftsorganisationen in Vancouver. Die Gespräche drehten sich um social media und alle Anwesenden ohne Ausnahme teilten die Überzeugung, dass diese tools wichtig sind. Das sind Gründe, die die Dinge in eine bestimmte Richtung lenken. Und zwar unabhängig von der eigentlichen Effektivität dieser neuen Kanäle.

Ein immer wieder genanntes Potential des Internets im Allgemeinen und des Web 2.0 im Besonderen wird ja darin gesehen, dass man ein Laienpublikum direkt erreichen kann mit wissenschaftlichen Inhalten und den Journalismus nicht mehr notwendig braucht. Was halten Sie davon?

Nun ja, ich glaube nicht, dass wirklich viele Menschen über solche Kanäle informiert werden. Ich glaube, dass diese Aktivitäten sich durch vermeintlich große Zahlen verführen lassen. Wenn sie eine Facebook-Seite aufsetzen und sie gewinnen 5000 Freunde, mag das dem Eindruck Vorschub leisten, sie würden jemanden erreichen. Tatsächlich ist das aber für Massenkommunikation keine große Zahl. Wenn Sie die Leute aber an einer Hand abzählen können, die durch solche Angebote tatsächlich erreicht werden – und ich wette, dass genau dies der Fall ist – dann erscheint die ganze Energie, die da investiert wird als große Zeitverschwendung.

Ich muss allerdings einräumen, das auch ich keinen Schlüssel dafür habe, die Effektivität dieser Kanäle valide abschätzen zu können. Schauen Sie, jemand mag einen Twitter Eintrag wahrnehmen, dafür braucht er Nanosekunden. Was macht der mit der Information? Wir haben ebensowenig wie die Wissenschaftskommunikatoren eine Ahnung, wie man die Effektivität dieser Kanäle verlässlich bestimmen soll.

Sie gehen davon aus, dass diese Angebote nicht viele Menschen erreichen können. Das müssen sie vielleicht ja auch nicht, wenn sie die „Richtigen“ erreichen.

In der Tat, da bewegen wir uns auf einem anderen Level der Abschätzung der Effektivität solcher Kanäle. In den USA mindestens ist es zunehmend so, das das Monitoring von dem, was etwa für Politiker oder hohe Verwaltungsbeamte relevant sein könnte, durch so genannte „Compiler“ gemacht wird, sehr junge Leute, die morgens um fünf damit beginnen, aus einer Vielzahl von Quellen das zusammenzutragen, was für Entscheidungsträger relevant sein könnte. Die arbeiten ausschließlich online-basiert, so dass Informationen einzelner Forschungseinrichtungen durchaus ihren Weg zu wichtigen Personen finden können. Aber nochmal: Das ist ein anderes Level.

Lassen Sie uns über den Stand der Forschung in Sachen Web 2.0 und Wissenschaftskommunikation sprechen. Mit welchen Ansätzen versucht denn die Sozialwissenschaft, hier Licht ins Dunkel zu bringen?

Im Wesentlichen gibt es drei Ansätze: Erstens versucht man abzuschätzen, ob Web 2.0 Anwendungen Öffentlichkeit herstellen in dem Sinne, dass sich unterschiedliche Akteure zu einem Sachverhalt äußern und so eine öffentliche Meinung entsteht. Das wird vergleichend gemacht, d.h. man fragt sich, ob Blogs und dergleichen ähnlich wie traditionelle Medien eine Art öffentliche Arena darstellen, in denen sich unterschiedliche Akteure Gehör verschaffen können.
Zweitens gibt es qualitative, experimentelle Arbeiten, die zum Beispiel Unterschiede des Informationserwerbs abhängig vom Verbreitungskanal zu ermitteln versuchen. Da gibt es ganz interessante Befunde. Etwa den, dass die Informationsmenge, die sich die Leute aneignen, vom Kanal unabhängig ist. Allerdings unterscheidet sich die Art und Weise, wie sie erworben wird, deutlich.

Alle Beiträge des Dossiers "Wissenschaft(sjournalismus) im Web2.0" [Photo credit: CC BY SA 2.0: Markus Angermeier/ Wikipedia: bit.ly/1duKPsk)

Alle Beiträge des Dossiers „Wissenschaft(sjournalismus) im Web2.0“
[Photo credit: CC BY SA 2.0: Markus Angermeier/ Wikipedia: bit.ly/1duKPsk)

Während Leser eines längeren Printartikels diesen linear erschließen, verläuft die Rezeption desselben Artikels online nicht linear. Die Leser hüpfen von einer Stelle zur nächsten. Das kann natürlich große Auswirkungen auf die Komposition von Texten haben, die online gelesen werden. Man braucht andere Erzählstrategien. Statt großer Spannungsbögen, die nur linear funktionieren, braucht man in längeren Texten so etwas wie verstreut liegende Inseln, von denen aus Leser motiviert werden tiefer in den Inhalt einzutauchen. Diese Arbeiten sind allerdings sehr reduktionistisch, sie versuchen experimentell möglichst alles konstant zu halten, so dass immer unklar bleibt, welche Aussagekraft die Ergebnisse im wirklichen Leben haben. Drittens gibt es Befragungen. Man fragt Nutzer nach Motiven, Gewohnheiten, Meinungen. Diese Methode hat das Problem, dass man nie völlig sicher ist, wie glaubwürdig die Angaben denn tatsächlich sind.

Sie selbst arbeiten gerade an einer großen vergleichenden Befragungsstudie von Neurowissenschaftlern in den USA und Deutschland. Sie interessieren sich für deren Nutzung und Bewertung von social media tools. Haben Sie schon Ergebnisse?

Ja, allerdings muss ich voranschicken, dass wir zunächst an einer Momentaufnahme der Mediennutzung von Neurowissenschaftlern interessiert waren, und zwar nicht der Nutzung von Nature, Science und dergleichen, sondern ihrer Nutzung von nicht-spezialisierten Medien, über die sie sich über das, was in der Wissenschaft vor sich geht, auf dem Laufenden halten. Sowohl die amerikanischen als auch die deutschen Wissenschaftler verlassen sich sehr stark auf den traditionellen Journalismus, wobei irrelevant ist, ob es sich um Printprodukte handelt oder um ihre digitalen Entsprechungen.

Wir haben Hinweise darauf, dass nach wie vor ganz überwiegend traditionelle Verbreitungswege des klassischen Journalismus genutzt werden. Und wenn es einen Bedarf nach zusätzlichen Informationen gibt, dann werden Internetangebote häufig derselben Anbieter genutzt. Das ist nicht nur typisch für diese Wissenschaftler, sondern beschreibt ein mehr oder minder allgemeines Muster der Mediennutzung. In den USA sind die populärsten Internetangebote jene der großen Medienhäuser, also CNN, NBC oder New York Times. Das Interesse der Wissenschaftler richtet sich klar auf die traditionellen journalistischen Produkte, nicht auf Blogs, die diese Medienhäuser ja auch anbieten. Es ist interessant, dass diese ergänzenden Angebote kaum nachgefragt werden.

Und wie beurteilen die Wissenschaftler social media tools?

Wir haben die Wissenschaftler gefragt, welchen Kanälen sie den größten Einfluss auf die Meinungsbildung und auf politische Entscheidungsträger zubilligen. Sie schrieben nach wie vor den traditionellen Medien den größten Einfluss auf beides zu. Was allerdings interessant ist, ist folgendes: Sie schreiben auch Blogs und Social Networks großen Einfluss auf beides zu, obwohl sie selbst diese Kanäle kaum nutzen.

Dieses Muster erklären wir mit den „third-person-effect“. Dieser Effekt besagt, dass die „Anderen“ sich bei der Meinungsbildung auf etwas verlassen, dem man selbst keinen Einfluss auf seine Meinungsbildung zugesteht. Wir wissen nicht, ob das zutrifft, aber was entscheidend ist: Würde man diese Wissenschaftler fragen, ob man sich um Blogs und Social Networks kümmern muss, sie würden ganz sicher mit „Ja“ antworten.

Damit wären wir dann wieder am Ausgangspunkt. Es gibt eine Überzeugung, über deren Angemessenheit sich nichts Verlässliches sagen lässt. Und die sorgt im Ergebnis dafür, dass immer mehr über neue Kanäle verbreitet wird?

Ja. so sehe ich das. Die Allgegenwart von Facebook und Twitter sorgt dafür, dass man sich komisch fühlt, wenn man selbst nicht mitmacht. Es sorgt für Verunsicherung, insbesondere wenn etwa Wissenschaftler die Seiten ihrer Kollegen besuchen und dort die allfälligen Hinweise finden: „Besuchen sie mich auf Facebook“ oder „Folgen Sie mir auf Twitter“. Es gibt Dynamiken, die auch den Journalismus erfasst haben. Freie Wissenschaftsjournalisten zum Beispiel, die von Kürzungen der großen Verlagshäuser betroffen sind, schauen natürlich nach neuen Einnahmequellen und denken dabei nicht selten auch an die neuen Kanäle wie Blogs und dergleichen. Diese Dynamiken werden dafür sorgen, dass dieser Bereich weiter wächst, wohin das aber führt, ist ungewiss.

 


Markus LehmkuhlDie Fragen stellte Markus Lehmkuhl. Markus Lehmkuhl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Wissenschaftskommunikation der Freien Universität Berlin. Er leitet die Redaktion von meta seit 2007.